Agile Transformation in meinem Beratungsalltag
Wenn mich in den letzten Monaten jemand gefragt hat, wie ich meine Zeit so verbringe und was gerade meine Schwerpunkte sind, habe ich gesagt, dass ich die meiste Zeit in Agilen Transformation arbeite. Selten kam dann ein „Ah ja!“, sondern meistens ein „Aha, und was heißt das?“.
Gute Frage! Was heißt agile Transformation in der Anwendung? Die ersten Male lautete meine schnelle Antwort so: „Ich arbeite mit Organisationen daran, dass sie selbst lernen, sich laufend und ununterbrochen anzupassen, damit sie den zukünftigen Herausforderungen gut begegnen können. Und das ist gar nicht so einfach, weil der neue Modus so ganz anders ist, als das was die Unternehmen bisher gewohnt waren. Danach sind sie andere Organisationen.“ Selten war das eine zufriedenstellende Antwort.
Neuer Versuch: Was ist agile Transformation?
Stell dir vor, du bist in einem Unternehmen mit einer langen Tradition, z.B. 100 Jahre. Viele Jahrzehnte ist viel gut gelaufen und ihr habt einige Krisen gut überstanden. Dein Unternehmen kennt das Business gut und war sich lange sicher, wie das Unternehmen zu führen ist. Die letzten Jahre bekommt diese Sicherheit Brüche: Die Zahlen werden schlechter und die durchgeführten Veränderungen und Interventionen wirken nicht wie geplant. Irgendwie hängt eine schwarze Wolke der Digitalisierung über dem Unternehmen. Niemand aus der Führungsmannschaft hat eine wirklich gute Idee, was nächste Schritte sein könnten. Dieser Zustand brodelt so vor sich hin, bis auf einmal klar wird: Wenn wir so weiter machen, dann gehen wir unter!
Es braucht etwas ganz Anderes, Neues …
Das ist schon eine heftige Erkenntnis, die schmerzt und die aktuell viele Top-Manager:innen machen: Die Digitalisierung drängt viele Unternehmen an einen Punkt, an dem sie erkennen, dass es etwas ganz Anderes, Neues in der nahen Zukunft braucht. Und das hat wahrscheinlich wenig mit dem zu tun, was sie heute tun. Da kann und darf man schon unrund werden, immerhin steht viel auf dem Spiel! Stellen Sie sich vor, wie sich das anfühlt, wenn Sie nicht wissen, wie Ihre Zukunft aussehen kann, welche Kompetenzen und Fähigkeiten in der Organisation gebraucht werden. Das erzeugt eine ziemlich große Spannung. Spätestens dann, im Idealfall schon vorher, kommen wir ins Spiel.
Wie kann die Organisation sich selbst für Zukünftiges aufstellen?
Das ist die Kernfrage und der Ausgangspunkt ist dann auch naheliegend: Wichtige Akteure verschaffen sich ein Bild zur aktuellen Situation, vertiefen diese, bilden Hypothesen und schaffen einen ersten Korridor, der für die nächste Zeit einen strategischen Rahmen liefert. Eines ist dabei wichtig: Dieser Rahmen wird in Zukunft laufend angepasst und muss deshalb auch nicht ewig erarbeitet werden. Und bei diesem Schritt wird eines meistens besonders deutlich: Es braucht einen Orientierungspunkt der Halt gibt, wenn so viel anderes volatil und nicht absehbar ist.
Hier kommt Purpose ins Spiel …
Wofür machen wir uns auf den Weg? Was wollen wir tun? Für wen machen wir das überhaupt? Was soll dabei unser Beitrag für die Gesellschaft und unser Umfeld sein?
Die Frage nach dem Sinn löst viel Energie aus …
Da wird gefeiert, hinterfragt, schöne Momente werden vor den Vorhang geholt und es entstehen verbindende Momente untereinander und mit der Organisation. Das hilft im nächsten Schritt: Ein Kern-Team im Unternehmen zusammenzustellen, das die wichtigsten strategischen Stoßrichtungen aufgreift, in eine agile Arbeitsstruktur gießt und sich am Purpose ausrichtet. Diese Prozessarchitektur integriert agile Methoden, einen regelmäßigen Rhythmus indem iterativ an Prototypen gearbeitet wird und schärft ein agiles Mindset. Wichtig: Die ganze Zeit fließt viel Organisationsentwicklungs-Know How ein: Die Stoßrichtungen werden danach ausgerichtet und auch nächste Schritte festgelegt.
Die Neuwaldegger Schleife wirkt immer wieder Wunder …
Auch wenn ich es schon so oft erlebt habe, bin ich jedes Mal auf’s Neue begeistert, was durch diesen schleifenhaften Prozess entsteht. So viel würde sonst übersehen und ausgelassen werden! Eine Teilnehmerin hat erst vor kurzem zu mir gesagt: Jetzt verstehe ich dein Leuchten in den Augen und warum du immer so begeistert bist. Diese Momente sind zauberhaft!
Begeisterung, Widerstand, Durchhalten
Das Leuchten ist die die eine Seite! Natürlich gibt es auch die andere Seite: Viele Menschen haben über Jahrzehnte in Organisationen gelernt linear nach Plan vorzugehen. Und jetzt kommen wir daher und sagen, man braucht eine Schleifen-Logik im täglichen Arbeiten. Das ist wirklich ein ganz anderer Modus und löst häufig Widerstand aus. Und dafür braucht es Verständnis, Dranbleiben, gute Nerven, Üben und auch Erfolgserlebnisse. Erst letzte Woche habe ich so einen Wandel bei einem Teilnehmer live miterleben dürfen: Von „Was ist das für ein Mist, können wir nicht endlich einen richtigen Plan machen?“ zu „Wow, ich hab‘ s verstanden! Das macht echt Sinn!“. Ja, das war dann wieder so ein leuchtender Moment.
Im agilen Transformationsprozess …
In so einem agilen Transformationsprozess spielt natürlich noch vieles mit rein. Die Umstellung von Führung hin zu einer anderen Autorität und mehr Selbstorganisation, neue Arbeitsabläufe, neue Produkte und Produktzyklen, neue Aufbauorganisation uvm.. Das besondere an all dem ist, dass sich auch diese Aspekte iterativ weiterentwickeln und immer wieder angepasst werden. Und durch dieses Arbeiten wird die Organisation zu einer agilen, lernenden Organisation die sich laufend anpassen kann. Das alles entsteht im Gehen. Es gibt keinen eindeutigen Anfang und auch kein eindeutiges Ende.
Auch Beratung schaut dann anders aus …
Anders ist, dass ich in diesen agilen Transformationen in vielen kleinen Terminen dabei bin. Es sind in erster Linie nicht riesige Workshops, sondern eine Vielzahl von kleinen Meetingformaten. Das fühlt sich schon anders an! Zusätzlich gibt es diese Zaubermomente, wie zum Beispiel den Purpose-Quest zu gestalten und dann in die Organisation zu tragen. Oder auch die Reviews, in denen sichtbar wird, was alles weitergeht und angestoßen wird. Oder wenn man erkennt, dass das gemeinsame Ringen mit dem Top-Management Früchte trägt, indem sich die Sprache verändert, Entscheidungen transparent getroffen werden und gemeinsame Entwicklung sichtbar wird.
So, dass war jetzt die lange und ausführliche Antwort und trotzdem könnte ich noch stundenlang weitererzählen! Manchmal sage ich dann:
„ Naja, du hast ja gefragt!“ 😉 Für die, die noch mehr wissen wollen: Wir werden bald bei Happy Projects und unserer Workshopreihe Agiler Freiraum mehr dazu erzählen. Oder Sie schreiben mir ganz einfach ein E-Mail
Einen wunderschönen Start in den März!
Die Autorin:
Barbara Buzanich-Pöltl ist Managing Partnerin bei Neuwaldegg und beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Agile Transformation und Purpose und Strategie. Dazu schreibt sie gerade auch mit Frank Boos an einem Buch, das noch dieses Jahr erscheinen soll. Und sie ist Projektleiterin des Workshop-Formats Agiler Freiraum, das dem Experimentieren mit agilen Facetten dient.
Veranstaltungstipp:
Agiler Freiraum
Der Agile Freiraum ist ein Ein-Tages-Praxis-Workshop. Jeder Agile Freiraum widmet sich einem speziellen Thema, z. B. Fehlerkultur oder den Dynamiken selbstorganisierter Teams. Weitere Informationen