Agile Transformation virtuell gestalten – geht das auch in der Praxis?
Ganz ehrlich: Das haben wir uns anders vorgestellt! Agiles Transformieren: Ja. Digitalisierung: Ja. Anders arbeiten: Ja. – Aber gleich so radikal? Erst vor zwei Monaten habe ich im Blogbeitrag „Agile Transformation in meinem Berufsalltag“ beschrieben, was in einer agilen Transformation wichtig ist und auch von einem aktuellen Projekt erzählt. Damals hat vieles bereits sehr gut funktioniert: die Plannings, Sprints, Kernteammeetings und Reviews, gar nicht zu reden von den Managementmeetings. Wir waren auf einem guten Weg, mit allem was dazu gehört: Widerstand, Konflikte, Erfolgserlebnisse, Rückschläge, Hochs und Tiefs. Eigentlich waren wir auf eine Rüttelstrecke vorbereitet, aber nicht auf so etwas!
Corona-Krise als Game-Changer
Auf einen Schlag konnten auch wir in den agilen Teams und im Kernteam keine Treffen mehr organisieren, das Thema Kurzarbeit war am Tisch und kostete viel Energie und die brennende Frage war: Kann so ein agiler Change auch virtuell weitergeführt werden? Geht das auch mit weniger Ressourcen und welche Wirkungen können wir erzielen?
Ehrlich gesagt wussten wir es zu Beginn nicht. Zuviel war unsicher und die Aufmerksamkeit überall anders nur nicht beim Change. Die Chancen standen am Anfang nicht so gut. Aber nach kurzer Zeit erkannten wir, dass wir einen Trumpf in der Hand hatten: Ein paar Wochen zuvor war aufgrund des Changes ein digitales Tool ausgerollt worden, mit dem alle Mitglieder der Organisation auch virtuell zusammenarbeiten konnten. Was zuvor mit Widerstand behaftet war, war auf einmal das Beste was passieren hatte können. Die Zustimmung aller Mitarbeiter:innen war enorm hoch. Und: Immer mehr waren der Meinung, dass der Changeprozess eine gute Vorbereitung auf die Krise war.
Gute Vorzeichen
Mit dieser Stimmung haben wir es gewagt, ein virtuelles Kernteammeeting zu organisieren. Die Infrastruktur hatten wir ja! Und in diesem virtuellen Meeting war klar: Komme was wolle, wir wollen weitermachen und das neu Gelernte nicht verlieren! Und: Wir müssen es halt auf die veränderten Rahmenbedingungen anpassen, prototypisch und virtuell. Das war das Go und der Weg in eine wirklich neue Lernreise. Vieles war zu bedenken und auch zu integrieren: Wie gehen wir mit den Ängsten im Kontext der Krise um? Was heißt das für Mitarbeiter:innen, die in Kurzarbeit und Teil dieses Prozesses sind? Und wie schaffen wir es auch mit den Konflikten und Widerständen fertig zu werden? Wie sehen jetzt Formate aus, die vorher für zwei Tage geplant waren? Und wie haben wir die Dynamiken und Wirkungen gut im Blick?
Stärken stärken
Zuerst haben wir identifiziert worin die Stärken liegen. Das Gute war, dass wir vieles an dem bisherigen Prozess anknüpfen konnten. Zusätzlich mussten wir nur kritische Erfolgsfaktoren für die nächste Zeit entwickeln. So blieb die Prozesslogik gleich und wir passten im ersten Schritt nur die Taktung der Formate an, indem zum Beispiel Reviews jetzt alle 3 Wochen statt zuvor im 4 Wochen-Rhythmus stattfinden, und verkürzten dafür die Dauer der virtuellen Meetings. Wichtig war auch, dass die Projektteams die neue virtuelle Plattform konsequent nutzen: So können Informationen auch von den Personen gefunden werden, die Aufgrund der Kurzarbeit nicht dabei sein können. Und das Verwunderliche: Es funktioniert! Den Auftakt hat der erste Review gemacht: Wir haben es gemeinsam geschafft, dass dieser Review, wie sonst auch, das Lagerfeuer des Prozesses darstellte. Wir haben es mit Musik und richtig coolen Übungen hinbekommen. Alle Projektteams arbeiteten danach weiter und produzieren nach wie vor tolle Prototypen. Wir alle sind fasziniert, wie wir es schaffen im Home-Office trotzdem immer weiterzukommen. Das ist die eine Seite der Medaille. Natürlich gibt es auch eine andere Seite: Laufend begegnen uns Challenges.
Challenges, die echt fordern: Überforderung, Ängste und Konflikte
Eine Herausforderung ist mit der Überforderung der Teams und auch einzelner Teammitglieder in virtuellen Meetings umzugehen. Gerade im virtuellen Kontext, der mit Krise behaftet ist, braucht es einen Raum, in dem Sorgen und Ängste der Personen Platz haben, um auch gut inhaltlich arbeiten zu können. Gefühlt kostet dies online noch mehr Kraft, weil weniger Sinne zur Verfügung stehen, die wahrnehmen und einen Ausgleich schaffen. Schwierig ist es, wenn Meetings zu kurz geplant sind. Deshalb achten wir jetzt darauf, dass genug Zeit vorhanden ist, um Persönliches zu teilen und sich mit anderen auszutauschen. Dafür nutzen wir vor allem die Check-Ins, Formate wie virtuelle Kleingruppen und auch Pausen, die lustvoll gestaltet sind.
Die zweite wirkliche Herausforderung erleben wir, wenn Konflikte und Widerstände entstehen oder schwelen. Das ist auch deshalb problematisch, weil genau das auch ein zentraler Aspekt im Transformieren ist. Schwierig ist es diese Themen auf den Tisch zu bringen und konstruktiv zu bearbeiten, weil sich Einzelne leichter entziehen können als sonst. Oft weiß ich nicht genau, ob die Botschaften ankommen und ob das Erzählte auch so gemeint ist. Erst jetzt wird spürbar, wie sehr Präsenz und ein gemeinsamer Raum in der Konfliktbearbeitung unterstützen. Damit Klärung und Auseinandersetzung auch online gelingen, braucht es die Bereitschaft von allen Seiten daran sinnvoll zu arbeiten. Druck hilft da wenig! Wir erleben hier Unterschiedliches. Manches klappt echt gut, vor allem wenn bereits viel Verbindlichkeit und Vertrauen aufgebaut wurden und auch geübt wurde Dinge zur Sprache zu bringen. Vieles klappt aber auch nicht, weil es für die Beteiligten zu unangenehm ist oder weil Einzelne nicht bereit und ganz einfach nicht anwesend sind. Da warten wir oder suchen nach anderen Wegen, um die Dinge zu klären.
Bauen wir nur Luftschlösser oder erzielen wir echte Wirkungen?
Diese Frage stellen wir uns immer wieder. Woran erkennen wir, dass sich auch wirklich etwas verändert? Werden die gewünschten Wirkungen erzielt? Funktioniert Transformieren auch in einer virtuellen Praxis? Ich glaube, die richte Antwort darauf gibt es nicht bzw. ich weiß sie nicht. Ich bin der Meinung, dass es bis zu einem gewissen Grad funktioniert, weil ich es gerade selbst erlebe! Täglich lerne ich dazu was alles geht und bin im positiven Sinne erstaunt was alles gelingt. Wenn es um einen kompletten agilen Transformationsprozess geht, der virtuell gestaltet wird, bin ich skeptisch. Eine Seite ist sicher auch, weil ich gerne mitten im Geschehen bin und mit den Menschen persönlich arbeite. Das ist schon noch mal etwas anderes! Die andere Seite ist, dass im virtuellen Kontext vieles nicht sichtbar wird, weniger Interaktion stattfindet und so viele Sinne nicht genutzt werden können. Aber diese Fragen machen uns bei Neuwaldegg neugierig. Das ist auch der Grund, weshalb wir dieses Thema in nächster Zeit beforschen, damit wir es besser verstehen. Dazu werden wir Sie updaten! Einen Teil dieser Vertiefung haben wir bereits in unserem neuen Buch integriert, das zu unserer Freude endlich beim Verlag liegt.
Uns interessiert auch Ihre Meinung: Was denken Sie? Kann eine agile Transformation auch im virtuellen Kontext funktionieren? Was sind Ihre Gedanken und Glaubenssätze dazu? Welche Rahmenbedingungen braucht es?
Die Autorin:
Barbara Buzanich-Pöltl ist Managing Partnerin bei Neuwaldegg und beschäftigt sich unter anderem intensiv mit den Themen Agile Transformation und Purpose und Strategie. Dazu hat siegerade auch mit Frank Boos an einem Buch gearbeitet, das mittlerweile beim Verlag ist und das noch dieses Jahr erscheinen soll. Und sie ist Projektleiterin des Workshop-Formats Agiler Freiraum, das dem Experimentieren mit agilen Facetten dient.
Agiler Freiraum wieder live, 17.7.2020
Unser erfolgreiches Workshop-Format dient dem Experimentieren mit agilen Facetten. Agiles Lernen im Kontext unserer Zeit. Weil eines klar ist: agiles Arbeiten, mehr Flexibilität und ein guter Umgang mit Unsicherheiten werden in Zukunft noch gefragter sein. Dafür haben wir uns neue Formate und Herangehensweisen überlegt. Wir freuen uns, dass es diesmal wir wieder einen Live-Workshop geben wird. Das Thema: „Agile Experimente mit Social Distancing“. Wie kann agile Zusammenarbeit jetzt gut gelingen? Was bedeuten die Dimensionen Nähe und Distanz für die unterschiedlichen agilen Prinzipien? Was verändert sich auch? Freuen Sie sich auf überraschende agile Formate mitten im Grünen. Ihre Hosts: Barbara Buzanich-Pöltl und Lukas Zenk.