Coaching Hack: Schon ein Ziel oder noch eine Entscheidung?
Im Coaching kommt es immer wieder zu einer interessanten Unterscheidung, nämlich ob es sich bei dem Thema des Coachings um ein Ziel oder eine noch zu treffende Entscheidung handelt. Was ist der Unterschied und warum ist das überhaupt relevant?
Ein Beispiel: Ein Kunde kommt ins Coaching: „Ich habe einen Riesen-Wirrwarr im Kopf! Bitte helfen Sie mir, zu einer Entscheidung zu kommen!“
Er berichtet, dass sein Unternehmen durch Corona massiv in die Krise gestürzt ist. Die Reaktion ist ein Stellenabbau in großem Maß. Der Kunde ist dort eigentlich in der Top-Management-Laufbahn, weiß aber aktuell nicht, ob das auch weiterhin möglich ist, denn auch diese Stellen stehen in Frage.
Er wurde von einer 80-Stunden-Woche vollgebremst auf Kurzarbeit. Er wurde der Führung enthoben und auf ein wichtiges Projekt gesetzt.
Plötzlich ist seine Grundsatzfrage wieder da: Was will ich eigentlich beruflich?
Bisher wurde die Frage nach Sinnerfüllung von der hohen Arbeitslast, vom hohen Gehalt und den Aufstiegschancen meist übertönt. Nun will er an seinen beruflichen Zielen arbeiten – oder an einer Entscheidung?
Was ist der Unterschied und warum ist das überhaupt relevant? Das wollen wir Ihnen anhand eines Beispiels erklären, das zumindest uns beim Schreiben großen Spaß gemacht hat.
Ist der Lokalbesuch ein Ziel oder eine Entscheidung?
Stellen Sie sich vor, Sie haben morgen Abend frei und können ein Lokal Ihrer Wahl besuchen (Sie merken schon, was uns an dieser Vorstellung besonders freut!). Ihre Begleitung ist klar, da gibt es keine Entscheidung zu treffen. Das „Wann“ und „Mit wem“ haben Sie also schon entschieden. Aber das „Wohin“ ist noch offen. Auch dafür wird eine schnelle Lösung gefunden. Sie entscheiden sich für Ihr Lieblingslokal. Gratulation! Damit haben Sie bereits einige zu treffende Entscheidungen in Ziele verwandelt.
Denn Ziele sind bereits getroffene Entscheidungen.
Sie fragen also bei Ihrem Lieblingslokal nach, ob morgen Abend ein Tisch frei ist, und erhalten eine leider nicht so gute Nachricht: Das Lokal ist voll. Wohin also jetzt? Gemeinsam mit Ihrer Begleitung überlegen Sie, zwei weitere Lokale stehen zur Auswahl. Doch so einfach ist die Sache nicht. Viel lieber wären Sie in „Ihr“ Lokal gegangen. Und plötzlich wird aus dem angenehmen Ziel-Zustand, der dazu einlädt sofort loszulegen, ein Zustand, in dem Sie sich entscheiden müssen. Und das gleich zwischen mehreren Optionen. Das heißt für Sie, Sie verlassen den Zielzustand und kommen zurück in einen Entscheidungsraum.
Fühlt sich ein wenig an wie „Back to the Start“.
Sie gehen die Sache pragmatisch an, indem Sie die unterschiedlichen Optionen besprechen.
Option 1: neues Lokal A
Option 2: anderes neues Lokal B
Und es wäre etwas einfacher, wenn es da nicht noch die dritte Option gäbe, nämlich:
Option 3: Ihr Lieblingslokal, aber zu einem anderen Zeitpunkt
Diesen Zustand kennen Sie vermutlich: ein Überangebot von Möglichkeiten führt zu einem Dilemma. Hier währt das Dilemma nur kurz, nach zwei schnellen Nachfragen in den beiden Lokalen A und B ist klar, dort gibt es einen Tisch und auch in Ihrem Lieblingslokal bekommen Sie zwei Tage später einen Tisch.
Damit können Sie in jedem Fall zwei wunderbare Abende verbringen!
Was hat das Dilemma mit Coaching zu tun?
Jede dieser Optionen könnte auch ein Ziel sein. Kämen Sie mit Ihrem aktuellen Dilemma in ein Coaching (was unwahrscheinlich ist, Sie wollen ja eigentlich in ein Lokal 😉), ist die Wahl zwischen den drei Optionen eine Entscheidung. Wechseln wir vom Lokalbesuch wieder zu unserem Coaching-Kunden. Hier könnten statt dem Lokalbesuch auch unterschiedliche Jobmöglichkeiten mit unterschiedlichen Optionen stehen. Zum Beispiel „den bestehenden Job im Projekt behalten“ oder „das Unternehmen jetzt schon verlassen und nach einer neuen Stelle im Top-Management suchen“ oder „den Bereich wechseln und etwas ganz Neues starten – z. B. sich selbstständig machen“. Was hier wie eine Entscheidung wirkt, könnte auch den Charakter eines Zieles haben – zu Ihrem Lieblingslokal zu kommen oder die Selbstständigkeit zu wagen.
Und jetzt?
Handelt es sich um eine Entscheidung mit mehr als zwei Optionen, wie im Fall des Kunden, ist es hilfreich, diese in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen. Welche Entscheidung wird zuerst entschieden? In unserem Lokalbeispiel zuerst das „Wann“ – die Entscheidung zwischen morgen oder übermorgen Abend. Ist dies entschieden und fällt zu Gunsten von morgen Abend aus, eröffnet sich eine neue Entscheidung: „Wohin“ – Lokal A oder B.
Im Beispiel des Kunden steht vermutlich zuerst die Entscheidung des „Bleiben“ (und der Entwicklung im Unternehmen eine Chance geben) oder des „Gehen“ (egal ob in eine neue Führungsposition oder in die Selbständigkeit). Je nachdem, wie diese Entscheidung ausfällt, kommt dann die nächste Frage – z. B. falls er sich für’s Gehen entscheidet: Will ich meinen Karriereweg fortsetzen, aber woanders oder will ich mich auf ganz neues Terrain wagen?
Falls er sich für’s Bleiben entscheidet, könnte die nächste Frage sein: Bleibe ich im Projekt und arbeite daran, wie ich diese Aufgabe so gestalten kann, dass sie für mich spannend und zukunftsreich wird? Oder gibt es eine Alternative im Unternehmen, die mich wieder auf den Weg ins Top-Management bringt?
Sind die Entscheidungen getroffen, dann können daraus wieder Ziele konkretisiert werden: Was möchte ich darin genau erreichen? Woran werde ich das merken? Woran merken es die Menschen in meinem Umfeld? Wie sieht mein konkreter nächster Schritt dahin aus?
Kommen wir wieder zurück zum Lokal: Wie immer Sie sich entscheiden, wir wünschen uns allen bald einen wunderbaren Abend in unserem Lieblingslokal und viele weitere gute Entscheidungen und Ziele!
Die Autorinnen
Nicole Lauchart-Schmidl ist systemische Beraterin und gestaltet auch unsere Weiterbildungsformate mit, zum Beispiel das Gender Equality Lab oder als Programmleiterin den Coaching Campus. Nicole bringt bei Neuwaldegg auch ihren Hintergrund als Personalerin und Coach ein.
Franziska Fink ist systemische Beraterin & Coach, Purpose-Expertin, Buch-Autorin und auch Programmleiterin des neuen Neuwaldegger Coaching Campus. Gemeinsam mit Nicole hat sie ein neues Konzept entwickelt, bei dem man nicht nur coachen lernt und ab dem ersten Modul selbst coacht, sondern auch von erfahrenen Coaches gecoacht wird.
Der Coaching Campus
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