Führung im Kontext von SAFe
Durch Agile Transformationen und Selbstorganisation werden Macht und Führung nicht aus der Welt geschafft, sie müssen nur neu betrachtet und verhandelt werden. Für Organisationen und Führungskräfte bedeutet dies ein hohes Maß an Unsicherheit. In unserer Serie „Führung im Kontext Agiler Methoden“ wollen wir auf die bekanntesten Agilen Frameworks, Methoden und Ansätze eingehen und deren Implikationen auf Führung und Führungskräfte aufzeigen. In Teil 3 widmen wir uns dem Scaled Agile Framework, kurz SAFe.
Agile Skalierung
Wir wollen uns an dieser Stelle also mit Skalierung beschäftigen und uns dabei den erfolgreichsten Vertreter der Skalierungsframeworks ansehen: Das Scaled Agile Framework (SAFe) – laut dem letzten Annual State of Agile Report 2022 werden 37 % aller Skalierungsvorhaben mit SAFe umgesetzt.
Bevor wir jedoch über SAFe sprechen, ist es wichtig kurz Agile Skalierung zu definieren. Nehmen wir an, eine Organisation möchte ein Problem in einer bestimmten Zeit lösen. Dann wird dies von einem (agilen) Team übernommen. Ist das Problem jedoch so groß, dass es von diesem Team in der gegebenen Zeit nicht mehr gelöst werden kann, dann muss die Organisation die Umsetzungskapazität skalieren um es doch lösen zu können.
Dafür gibt es grundsätzlich zwei Ansätze, nämlich ein Scale Up (ein größeres Team) oder ein Scale Out (mehrere Teams). Da agile Teams jedoch klein und somit schlagkräftig bleiben sollen – Scrum Teams sind etwa maximal 10 Personen groß – sprechen wir bei Agiler Skalierung immer nur von einem Scale Out, also von mehreren Teams, die gemeinsam an einem Problem arbeiten.
Gibt es mehr als ein agiles Team, so ergeben sich neue Herausforderungen, wie etwa die Koordination von gemeinsamen Aufgaben, das Auflösen von Abhängigkeiten oder die Etablierung von übergreifenden Qualitätsstandards. Und um diese Herausforderungen zu beantworten, gibt es Agile Skalierungsansätze. Das bekannteste und erfolgreichste Framework ist dabei das Scaled Agile Framework.
Kurzer Einschub: Bevor wir über SAFe reden noch eine kleine Bemerkung zur eingangs erwähnten Problemstellung. Tatsächlich gibt es neben Scale Out und Scale Up noch eine dritte Option, nämlich das Problem so klein zu machen, dass es wieder von einem einzelnen Team bearbeitet werden kann. Dies ist jedoch ein ganz anderes Thema und soll ein anderes Mal besprochen werden. Wer mehr dazu wissen will, dem sei das Buch ReWork – Change the Way You Work Forever von Fried, J., Heinemeier Hansson, D. (2010), ans Herz gelegt.
The Scaled Agile Framework
Das Scaled Agile Framework, oder kurz SAFe (man beachte das kleine „e“), wurde von Dean Leffingwell entwickelt und liegt derzeit (Stand November 2022) in der Version 5.1 vor. SAFe kann in unterschiedlichen Ausprägungen eingeführt werden, in seiner vollen Ausbaustufe bildet SAFe vom Portfoliomanagement über Budgetplanung und Release Management bis hin zu Architektur und Koordination von Teams alles ab.
Bild © Scaled Agile Inc.: SAFe in „seiner ganzen Pracht“
Schwer vereinfacht geht SAFe davon aus, dass die verschiedenen crossfunktionalen Teams, welche ihrerseits Scrum oder Kanban einsetzen, in gemeinsamen Kadenzen (also gemeinsamen Rhythmen) , den sogenannten Planning Iterations (PI), arbeiten. Dazu gibt es unterschiedliche Meetings, Rollen, Prozesse und vieles mehr, die sicherstellen, dass auch tatsächlich Wert geliefert wird.
SAFe gibt Sicherheit durch klare Strukturen
Der Name SAFe ist mit Sicherheit nicht zufällig gewählt. In SAFe gibt es für alles klare Regeln und eine Anleitung. Das gibt Sicherheit, vor allem am Anfang. Doch auf der anderen Seite nimmt ein zu starres Festhalten an den Regeln den Teams und der Organisation die Möglichkeit auf veränderte Situationen zu reagieren, sich anzupassen und Lerneffekte einzuarbeiten.
Die in SAFe enthaltenen Anweisungen und Spielregeln sind nicht per se gut oder schlecht, sondern immer nur ein Anfang und ein Diskussionsversprechen (die Versicherung, zumindest darüber zu reden). Am Beginn der agilen Reise geben die Spielregeln von SAFe Halt und Sicherheit, zeigen agile Möglichkeiten auf und ermöglichen es agile Arbeitsweisen kennenzulernen. Die Einführung von SAFe ist revolutionär, gerade wenn die Organisation keine Erfahrung mit Agilität hat. Daher ist es sinnvoll am Anfang SAFe auch ernst zu nehmen, den darin enthaltenen Praktiken eine Chance zu geben und diese auszuprobieren. Wenn die Organisation eine gewisse Reife und Erfahrung gesammelt hat, kann SAFe im gegebenen Rahmen des Frameworks evolutionär laufend weiterentwickelt werden und es entstehen neue Praktiken und Rituale.
Viele Organisationen verbiegen SAFe bereits am Anfang oder führen nur gewisse Teilaspekte ein, wodurch der Mehrwert eventuell verloren gehen kann. Und oft ist die Einführung von SAFe das Ende einer Transformation, wo es doch tatsächlich der Anfang sein soll, nämlich der Beginn einer agilen Reise und die besteht aus kontinuierlicher Verbesserung.
SAFe ist eine Kanone
Sicher kennen Sie die Redewendung „Mit Kanonen auf Spatzen schießen“ – SAFe ist eine solche Kanone. Eine hilfreiche Frage, bevor Sie SAFe einführen, ist es also, ob Sie auch tatsächlich eine Kanone brauchen oder ob es doch nur um „Spatzen“ geht.
Um es etwas konkreter auszudrücken: Egal welche Ausprägung von SAFe Sie einführen, SAFe ist groß und die Einführung ist disruptiv. Auch bei der kleinsten Variante – SAFe Essentials. Für die Einführung von SAFe gibt es viele gute Gründe und SAFe kann viel Gutes bewirken, eine Einführung von SAFe ist jedoch immer auch eine große Irritation für die Organisation und mit hohen Transformationskosten verbunden. Und hier muss gut abgewogen werden, ob die Kosten-Nutzen-Rechnung auch tatsächlich aufgeht.
Eine hilfreiche Frage kann hier sein, was Sie erreichen wollen und für wen. Oftmals wird SAFe aus den falschen Gründen oder um gewisse Bedürfnisse abzuholen eingeführt.
Ich möchte dazu eine persönliche Geschichte erzählen: Vor ein paar Jahren durfte ich die Einführung von Agilität auf Teamebene in einer Organisation miterleben. Dabei richtete sich die Aufmerksamkeit lediglich auf die Teams und deren Bedürfnisse. Unter den Führungskräften machte sich bald Ernüchterung und Resignation breit, ihre Bedürfnisse wurden nicht gehört und bedacht. Sie hatten ein Gefühl von Kontroll- und Steuerungsverlust und führten schließlich SAFe ein, um darauf zu reagieren. Die damit verbundene Transformationskomplexität überforderte die Organisation. Aufgrund der losen Koppelung der Teams (es gab kaum Abhängigkeiten und Koordinationsnotwendigkeiten) gab es auch keinen Mehrwert für die Teams und der gelieferte Wert der Teams sank. Letztendlich führte es tatsächlich dazu, dass die agile Transformation ins Stocken geriet.
Fragen Sie sich also, ob Sie tatsächlich vor einem Skalierungsproblem stehen und was Sie mit der Einführung eines Skalierungsframeworks erreichen wollen. In dem oben genannten Beispiel war es etwa gar kein Skalierungsproblem, da nicht mehrere Teams an einem Produkt gearbeitet haben, sondern mehrere Teams unabhängig voneinander an ihren eigenen Produkten. Und selbst wenn es eine Skalierungsthematik gewesen wäre, ist SAFe eben eine Kanone und – überspitzt formuliert – fehlender Einblick in den aktuellen Status der Teams ist halt nur „ein Spatz“.
SAFe ist ein agiles Framework
Obwohl es paradox klingt, ist es notwendig, es immer wieder klar zu verdeutlichen: SAFe ist ein agile Framework. Und deswegen geht es bei der Einführung von SAFe nicht um die erfolgreiche Anwendung von SAFe, sondern um die Umsetzung von agilen Werten und Prinzipien in einem skalierten Umfeld.
Dies ist insbesondere bei SAFe explizit hervorzuheben, da SAFe einen großen Fokus auf eine tragfähige Business Vision und davon abgeleitete strategische Entscheidungen und Planungen legt, welche von oben herab nach unten kaskadiert werden. Dies ist – auch in einem agilen Kontext – gar nicht verwerflich, aber es verleitet dazu in alte Verhaltensmuster zu verfallen. In vielen Organisationen wird dies als klassische Top-Down-Befehlskette interpretiert und alte Entscheidungsstrukturen und -mechanismen werden angewandt. Auch tradierte hierarchische Machtstrukturen lassen sich durch SAFe ganz famos verfestigen. Funktionale Silos, wie etwa Abteilungen, werden dann zu Teams und die SAFe Release Trains bilden Machtstrukturen ab, etwa indem diese organisationalen oder funktionalen Bereiche gleichgesetzt werden.
Halten Sie sich in der gemeinsamen Arbeit mit und in SAFe immer vor Augen, dass SAFe kein Selbstzweck ist und dass die agilen Werte und Prinzipien handlungsleitend sein sollten. Es hilft dies auch immer wieder in Retrospektiven und anderen Austauschformaten gemeinsam zu hinterfragen und das Agile Manifest als Referenzpunkt für die Betrachtung der eigenen Arbeit zu verwenden. Was ich bei der Einführung von Agilen Skalierungsframeworks gerne mache, ist, dass ich die Agile Haltung explizit zum Thema mache und ein entsprechendes Commitment von den Führungskräften einhole, dies auch bei all den täglichen Entscheidungen immer als oberste Entscheidungsprämisse zu betrachten. Bei einem IT-Dienstleister ließ ich etwa den CIO und die Führungsebenen darunter das Agile Manifest unterschreiben und sichtbar im Gebäude aufhängen.
6 Tipps für Führungskräfte im Umgang mit SAFe
Trotz seines schlechten Rufs ist SAFe nicht per se ein schlechtes Framework. Die hohe Abdeckung unterschiedlichster organisatorischer Anforderungen, wie etwa Portfolio Management oder Budget Planung, die intensive Einbindung der Stakeholder, die klaren und umfangreichen Anleitungen zur Umsetzung und vieles mehr machen SAFe zu einer ernsthaften Option für agile Skalierung und Organisationsveränderungen. Jedoch bietet SAFe in seiner Einführung und in der täglichen Arbeit einige Herausforderungen und dafür haben wir folgende Tipps für Führungskräfte:
- Wägen Sie eine Einführung von SAFe gut ab, denn die Transformationskosten sind hoch und die Einführung ist disruptiv. Stehen Sie überhaupt vor einem Skalierungsproblem oder versuchen Sie gerade andere Probleme zu lösen? Gibt es dafür vielleicht leichtgewichtigere oder anschlussfähigere Alternativen oder Möglichkeiten für Experimente?
- SAFe bringt viele neue Begriffe mit sich und interpretiert auch einige bestehende Fachbegriffe anders, etwa Epics oder MVP. Sorgen Sie für Begriffsklarheit und Verständnis und überprüfen Sie immer wieder im gemeinsamen Dialog ob alle involvierten Personen auch das Gleiche verstehen.
- SAFe ist niemals das Ende einer Transformation, sondern der Beginn eines kontinuierlichen Prozesses der Adaptierung und Verbesserung. Verstehen Sie die präskriptiven Anleitungen als Haltegriffe für die ersten Schritte und als Basis für eine weitere Diskussion und Evolution.
- SAFe soll zur Anwendung von Agile und Lean Prinzipien einladen und diese nicht durch traditionelle Kollaborations- und Entscheidungsmuster unterbinden. Überprüfen Sie laufend die Umsetzung der agilen Werte und Prinzipien in der täglichen Arbeit und ermöglichen Sie Dialoge zu Haltung und Mindset.
- Es steckt viel Kraft und Mehrwert in der gemeinsamen Planung mit allen relevanten Stakeholdern, jedoch auch viel Aufwand und Irritation für die betroffenen Personen. Stellen Sie sicher, dass alle gut abgeholt werden und den Mehrwert der gemeinsamen Arbeit sehen, bevor Sie diese mit ihren Zeitbedarfen konfrontieren.
- Es werden sehr viele Entscheidungen, Rahmenbedingungen und Vorgaben von oben an die Teams vorgegeben. Dies kann einerseits von den Teams als sehr einschränkend wahrgenommen und andererseits für tatsächliches Micromanagement missbraucht werden. Stellen Sie sicher, dass Sie von oben nur die Dinge vorgeben, die notwendig sind, und dass die Teams ihren Freiraum für Kreativität erkennen. Auch hier gilt die agile Daumenregel: Das WIE ist vorgegeben, aber das WAS wird von den Teams definiert.
Über den Autor
Gregor Habinger ist Neuwaldegger Berater und Agile-Experte. In dieser Blog-Serie widmet er sich jedes Mal einem anderen kniffligen Thema rund um Agiles Arbeiten & Führung. Er nutzt dafür seine langjährige Erfahrung in der Begleitung agiler Transformationen, seine eigenen Erfahrungen im agilen Arbeiten und seine Expertise als Führungskraft im IT-Bereich.
Weiterbildungstipp: Agile Leadership Campus, ab 14. Juni 2023
Das Neuwaldegger Programm für Leadership in einer agilen Welt. Die Weiterbildung ist bunt und interaktiv und richtet sich explizit an Führungskräfte, an Geschäftsführer:innen und Manager:innen. Sie vertiefen Ihr Wissen und Ihre Fähigkeiten zu Agilen Methoden, Führung und Transformation. Dabei achten wir auf eine gute Kombination aus theoretischem Wissen, methodischen Anregungen und praktischen Übungen. Neben dem konkreten Handwerk und der Theorie arbeiten wir an der Haltung und der Integration in Ihre persönliche Arbeit als Führungskraft. Dies gelingt maßgeschneidert, da Sie durch die Potenzialanalyse konkrete Lernchancen ergreifen und ihren individuellen Entwicklungsweg im Coaching bestärkt setzen und gehen.
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