Gleichstellung – wo stehen wir?
Durch die COVID-19-Pandemie wurde vieles möglich, was davor noch eine Ausnahme zu sein schien. Arbeiten von zuhause, flexiblere oder reduzierte Arbeitszeiten. Einige dieser Themen werden immer wieder im Zusammenhang mit Gleichstellung genannt. Ist die Gleichstellung von Frauen und Männern in Organisationen schon erreicht? Leider ist das noch nicht so.
Aktuelle Studienergebnisse
Das zeigen auch aktuelle Studienergebnisse
Das Setting ist bereits bekannt: In der Studie erhielten Führungskräfte identische Beschreibungen in einer Bewerbung – der einzige Unterschied bestand in einem männlichen oder einem weiblichen Namen. Die meisten Führungskräfte bewerteten die Bewerbungen mit männlichem Namen als kompetenter und empfahlen auch ein höheres Gehalt, durchschnittlich um 8 % höher als das von Personen mit weiblichem Namen.
Zu einer ähnlichen Erkenntnis gelangten Wissenschaftler:innen der Universitäten Harvard und Princeton bereits vor einigen Jahren. Diese fanden heraus, wie sich ein strikt geschlechtsneutrales Probespiel auf die Chancen weiblicher Bewerbungen um Orchesterstellen auswirkt. Ihr Ergebnis: In der ersten Runde erhöht sich die Erfolgsquote um 50 %, wenn ihre künftigen Kolleg:innen (das waren am Beginn der Studie tatsächlich mehrheitlich Männer) nicht wissen, wer da spielt. In der Finalrunde waren sogar 300 % mehr Frauen erfolgreich, wenn sie hinter einem Vorhang musizieren konnten. Wendet man die Ergebnisse der amerikanischen Gleichstellungsforscher:innen konsequent auf Probespiele an, bräuchte es keine Frauenquote, zumindest solange es Orchestergruppen gibt, in denen die männliche Vormachtstellung ungebrochen ist.
Ein entscheidender Faktor: die unbewusste Einstellung
Interessant ist, wie die oben genannte Gehaltslücke zustande kommt. Hauptsächlich wurde diese von Führungskräften verursacht, die der Meinung waren, dass in ihrer Organisation keine Voreingenommenheit mehr besteht, während diejenigen, die glaubten, dass Voreingenommenheit weiterhin besteht, eine ungefähr gleiche Bezahlung empfahlen.
Die unbewusste Einstellung und damit verbundene Leugnung stellt also einen entscheidenden Faktor dar, der Gleichstellung verhindert. Zwei Drittel der Führungskräfte, die glaubten, dass es keine geschlechtsspezifischen Vorurteile mehr gibt, waren Männer – aber auch weibliche Führungskräfte mit dieser Meinung unterschätzten weibliche Bewerberinnen genauso.
Es bleibt nicht nur beim Bewerbungsprozess so. Da die weiblichen Bewerberinnen als weniger kompetent eingestuft wurden, wurde ihnen von ihren Führungskräften auch weniger Verantwortung übertragen, sie wurden weniger ermutigt wichtige Aufstiegschancen wahrzunehmen. Dies zeigt, wie die Vorurteile von Führungskräften nicht nur die aktuelle Bewerbungs- und Beschäftigungssituation, sondern auch den gesamten Karriereweg beeinflussen können.
Einfach nur mehr Frauen einzustellen, scheint vielleicht auf den ersten Blick eine gute Idee zu sein, ändert allerdings in der Praxis leider wenig.
Wie kann Gleichstellung in Organisationen hergestellt werden?
Unternehmen können zunächst darüber nachdenken, wie sie neue Mitarbeiter:innen gewinnen. Viele Stellenanzeigen enthalten geschlechtsspezifische Sprache, sogar Stellenanzeigen, die sich an gegenstereotype Personen richten. Zum Beispiel verwenden selbst Schulen, die ihren Anteil an männlichen Lehrern erhöhen möchten, in der Stellenanzeige immer noch die Wörter „mitfühlend“ oder „fürsorglich“ – Wörter, die stereotyp mit Frauen assoziiert werden.
1. Achtung auf genderneutrale Sprache
Untersuchungen zeigen, dass Frauen sich eher für Jobs bewerben, die eine femininere stereotype Sprache verwenden, während Männer sich eher für Jobs bewerben, die eine männlichere stereotype Sprache verwenden. Nur m/w:d dazu zu schreiben, reicht nicht aus, auch die inhaltliche Beschreibung hat einen Einfluss.
2. Mehr Aufmerksamkeit für die Screening- und Interviewphase
Das zweite, worüber Unternehmen nachdenken können und sollten, ist die Screening- und Interviewphase. Es gibt viele Vorurteile, die sich in das anfängliche Screening einschleichen können. „Der erste Eindruck entscheidet“ lautet ein bekanntes Sprichwort. Da ist was Wahres dran. Laut Neurowissenschaftler arbeiten 80 % bis 90 % unseres Denkens unbewusst und wir bewerten innerhalb der ersten Sekunden nach dem Treffen mit jemandem die Attraktivität und Körpersprache, das Geschlecht und die ethnische Zugehörigkeit. All diese Wahrnehmungen werden mit unbewussten Assoziationen verknüpft und die Eigenschaften einer Person mit den bereits bestehenden Erfahrungen gefüllt. Iris Bohnet verweist hier auf die Arbeit der Sozialpsycholog:innen Mahzarin Banaji und Anthony Greenwald, die bei der Entwicklung des impliziten Assoziationstests (IAT) mitgewirkt haben, um diese Schattenargumentation ans Licht zu bringen (Forschungsergebnisse, die sie in ihrem Buch Blindspot: Hidden Biases of Good People zusammenfassen).
Diese frühen Urteile sind hartnäckig. Sobald ein Eindruck vorhanden ist, verwenden wir in der Regel spätere Informationen, um diesen wieder zu bestätigen und nicht, um ihn in Frage zu stellen.
Doch kleine, aber leistungsstarke Designinterventionen, schreibt Iris Bohnet, können unbewussten Vorurteilen wirksam entgegenwirken. 1970 waren beispielsweise nur 5 % der Musiker in den besten Orchestern des Landes Frauen. Das einfache Vorspielen von Musiker:innen hinter einem Vorhang änderte dies. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau in die nächste Runde vorrücken konnte, wurde um 50 % erhöht. Heute machen Frauen über ein Drittel der Orchestermitglieder aus.
3. Jede Bewertung, die wir vornehmen, ist relativ zu dem, was wir gewohnt sind.
Drittens ist eine wichtige Erkenntnis der Verhaltenswissenschaft, dass jedes Urteil, jede Bewertung, die wir vornehmen – nicht nur der Personen, sondern auch von ganz anderen Dingen (wie der Kaffee, den wir trinken) relativ zu dem ist, was wir gewohnt sind. Wir vergleichen auch Personen mit den Sterotypen in unseren Köpfen. Um echte Alternativen zu vergleichen ist der Fokus auf die Leistung von Vorteil, dadurch gelingt es die Urteile zu kalibrieren. Bei der Leistungsbeurteilung gilt je messbarer, desto weniger diskriminierend. Unternehmen, die neben der Leistung auch Potenzial zur Bewertung von Mitarbeiter:innen nutzen, sind eher geschlechtsspezifisch. Dies ist nicht überraschend, da das Potenzial weniger leicht messbar ist als die Leistung. Hier schlägt noch ein weiteres Stereotyp zu: Führung und Karriere wird mit Männern verbunden und weniger mit Frauen.
Role Models sichtbar machen
Innerhalb der Organisation ist es wichtig Role Models sichtbar zu machen. Auch die Bilder an den Wänden sprechen für sich und prägen die Einstellung, was in dieser Organisation möglich ist.
Weiterer wesentlicher Faktor: Die Zusammensetzung von Gruppen
Ein weiterer Faktor ist es auf die Gruppen Zusammensetzung achten. Gemischte Teams sind nur dann erfolgreich, wenn die Beteiligten ihre unterschiedlichen Fähigkeiten tatsächlich auch einbringen können. Sonst hilft Geschlechterproporz nicht weiter. Ohnehin muss die Minderheit in einem gemischten Team etwa 30 Prozent ausmachen. Unterschreitet man diese kritische Masse, können die Angehörigen der Minderheit am Ende als unbedarfte Alibipersonen dastehen.
Was kollektive Aufmerksamkeit bewirken kann
Die letzten Monate haben gezeigt, rückt etwas in die kollektive Aufmerksamkeit, kann eine Änderung sehr schnell erfolgen. Um das volle Potential der Organisation zu entfalten braucht es alle menschlichen Potentiale in der Organisation.
Unser Programm für mehr Gleichstellung
In unserem neuen Gleichstellungsprogramm für Organisationen – Gender Equality Lab geht es genau darum: durch Gleichstellung das volle Potenzial der Organisation auszuschöpfen. Die Lösung ist kein Frauenförderungsprogramm, sondern eine Organisationsstruktur, die Verhalten das zur Gleichstellung führt begünstigt. Equality by design.
Die Autorin Nicole Lauchart-Schmidl
ist seit 1. Jänner Neuwaldeggerin. Sie ist systemische Beraterin und gestaltet u.a. auch unsere Weiterbildungsformate mit, z.B. das Gender Equality Lab, das im Oktober 2020 starten wird. Nicole bringt bei Neuwaldegg auch ihren Hintergrund als Personalerin und Coach ein.
Weiterbildungstipp: Gender Equality Lab
Sie wollen, dass Ihre Organisation durch Gleichstellung das volle Potenzial ausschöpft? Dann sind Sie bei diesem innovativen Programm genau richtig. In 2 Live-Modulen (jeweils 3 Tage) und 4 virtuellen Touch-Points arbeiten wir an drei wesentlichen Hebeln: einer Toolbox für die Praxis, neuen Spielregeln und dem Schaffen von Vorbildern in unterschiedlichen Rollen. Dazu gibt es Deep-dives in die Gender-Equality-Forschung und das systemische Arbeiten. Wir richten uns an Frauen und Männer, die mit uns Vorreiter:innen sind und Organisationen gestalten – als Führungskraft, als Personal- oder Organisationsentwickler:in, Berater:in oder freies Radikal. Ab 23. Oktober 2020. Machen Sie mit!
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