Warum Sie in Zeiten von Fachkräftemangel auf Resonanz setzen sollten
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Der Fachkräftemangel ist real und das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. In Österreich und Deutschland stellt er eine enorme Herausforderung für die Wirtschaft dar. Wesentliche Fachkräfte sind schwer am Markt zu finden und sie im Unternehmen zu halten ist auch eine Herausforderung. Zusammengefasst unter dem Stichwort „The Great Resignation“ verlassen viele Arbeitskräfte ihre aktuellen Jobs. Wie Resonanz hier hilfreich sein kann?
Die Zeiten haben sich für viele Unternehmen verändert. Man freut sich über 2-3 passende Bewerbungen auf eine lang ausgeschriebene Stelle und ist unendlich erleichtert, wenn eine:r der Bewerber:innen tatsächlich zusagt und nicht eines der vielen anderen Angebote annimmt. Die Macht, die Organisationen früher innehatten, verschiebt sich. Standen im vorigen Jahrhundert noch die Bedarfe der Organisation im Vordergrund und die Menschen hatten sich unterzuordnen, erleben wir heute eine Verschiebung in der Beziehung zwischen Mensch und Organisation. Mitarbeiter:innen können viel mehr Einfluss nehmen, ihre Bedürfnisse einbringen und sich Raum verschaffen.
Eine lebendige Beziehung ist heute „State of the art“
Waren wir Menschen zu Beginn des 20. Jahrhundert noch Ersatz für Maschinen und bereit uns am Fließband einzuordnen, haben die jüngeren Generationen ein ganz anderes Bild von sich selbst und ihrer Arbeit. Anerkennung, Wertschätzung und Gestaltungsmöglichkeit sind in vielen Bereichen wesentliche Voraussetzungen für einen guten Job. Der Wunsch nach einer lebendigen Beziehung zur Arbeit ist heute state of the art. Dennoch erleben wir, dass viele Organisationen noch an alten Paradigmen festhalten.
Die Theorie der Resonanz von Hartmut Rosa kann helfen, um Hebel der Veränderung zu identifizieren. Der Soziologe definiert Resonanz als die Art und Weise, wie wir mit der Welt in Beziehung sind. Für ihn steht die Sehnsucht des Menschen nach Entfaltung am Arbeitsplatz für einen Wunsch nach Resonanz, das heißt nach einer lebendigen Beziehung zur Arbeit und Organisation.
Resonanz heißt sich berühren lassen
Resonanz heißt, dass uns etwas berührt, sodass wir darauf reagieren wollen. Sie entsteht, wenn wir uns auf unser Gegenüber oder den Moment einlassen, uns erreichen lassen von dem was da ist und darauf antworten. Dadurch entsteht eine lebendige Beziehung, ein vibrierender Draht. Findet keine Resonanz statt, ist dieser Draht verstummt. Menschen fühlen sich entfremdet, und die Organisation leidet darunter, weil sie das vorhandene Potenzial nicht vollkommen ausschöpfen kann. Resonanzerlebnisse kennen wir alle, besonders deutlich wahrnehmbar sind sie in einem schönen Moment in der Natur, am Meer, im Wald oder am Berg oder auch bei einer berührenden Musik, die uns zum Tanzen oder Weinen bringt. Sie sind auch zwischen Organisation und Mensch möglich.
Übersetzt auf die oben beschriebene Situation des Fachkräftemangels bedeutet das, es geht darum eine lebendige Beziehung zu gestalten und anzubieten. Um das zu tun kann die Organisationen bzw. die Führung als Repräsentanz der Organisation über folgende Fragen nachdenken:
- Wie offen sind wir für die Bedürfnisse/Wünsche der bestehenden Mitarbeiter:innen?
- Wie offen sind wir für die Bedürfnisse unserer Bewerber:innen?
- Wie gehen wir auf sie zu? Wie ist die Qualität unserer Begegnung?
- Wieviel Raum gibt es in unserer Organisation für Mitarbeitende? Wie flexibel sind wir? Was bieten wir an?
- Sehen wir die Organisation nach wie vor als tonangebend/dominierend oder zählen auch die menschlichen Bedürfnisse?
- Gibt es eine gute Balance in der Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Organisation?
In die Umsetzung kommen
Wollen Organisationen nach wie vor attraktiv sein für zukünftige Arbeitnehmer:innen braucht es ein neues Selbstverständnis und eine neue Form der Beziehungsgestaltung, in der Menschen und Organisation gleichermaßen gesehen werden. Gelingt diese Veränderung, sind wir überzeugt, dass man nach wie vor die passenden Talente für sein Unternehmen gewinnen und halten kann. Hier kommt Führungskräften und Personalexpert:innen in Unternehmen eine wichtige Bedeutung zu, sind sie doch Mittler zwischen den Bedarfen der Organisation und den Bedürfnissen der Menschen.
Organisationen können vor allem daran arbeiten sich zu öffnen und sich von den Vorstellungen und Ideen der Fachkräfte berühren zu lassen, d.h. zuhören was ihre Bedürfnisse sind und darauf antworten, indem man Angebote macht, die Interesse wecken. Dadurch können Organisationen immer mehr zu einem Resonanzraum werden.
Ein Hinweis: Für Resonanz gibt es keine App
Resonanz lässt sich nicht einfach als Prozess einführen oder befehlen, vielmehr geht es hier um die Bereitschaft zuzuhören und in Beziehung zu gehen. Um das zu erreichen ist der erste Schritt Bewusstsein dafür zu schaffen.
Quellen:
Jantscher/Lauchart-Schmidl (2021): Being in Organizations. Stuttgart. Schäffer Poeschel Verlag
Rosa, H. (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp.
Über die Autor:innen
Nicole Lauchart-Schmidl ist systemische Beraterin, Expertin für New Work und Resonanz und gestaltet u.a. auch unsere Weiterbildungsformate mit, z.B. den Coaching Campus oder das Gender Equality Lab. Außerdem ist sie Co-Buch-Autorin von „Being in Organizations“, bei Neuwaldegg bringt Nicole auch ihren Hintergrund als Personalerin und Coach ein.
Anna Jantscher ist Beraterin und Managing Partnerin bei Neuwaldegg. Sie ist Co-Autorin von „Being in Organizations“. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Begleitung von Teams und Organisationen in mehr Selbstorganisation. Gemeinsam mit Barbara Buzanich-Pöltl gestaltet sie unsere Workshopreihe Agile Freiräume und den Change Campus.
Weitere spannende Links
Buchsite „Being in Organizations„
Podcast zum Buch
Buch Resonanz – eine Soziologie der Weltbeziehung, Hartmut Rosa