Mit Clear Leadership organisationale Muster verändern
Wie gelingt es, die Muster der Organisation zu verändern und Lernen und Entwicklung zu ermöglichen? Im systemischen Organisationsverständnis wenig überraschend: über Kommunikation! Was der Grad an Transparenz über informelle Information und die berühmt berüchtigte Kaffeeküche damit zu tun haben und welche Hebelwirkung in der Vorbildfunktion liegt, ergründen wir mit dem Eintauchen in den Clear Leadership-Ansatz.
Wer weiß am besten Bescheid, was in einer Organisation wirklich los ist? Welche unsichtbaren Muster sich immer wieder wiederholen, wie Maria über Torbens Vorschläge wirklich denkt und ob der Bereichsleiter die neue Strategie aus Protest sabotiert. Es ist sicher nicht die Geschäftsführerin und genauso wenig der in derlei Beispielen viel bemühte Portier. Es wäre wahrscheinlich die Kaffeemaschine, wenn sie eine Wahrnehmung hätte, von der sie berichten könnte.
Was bedeutet das für Führung und Zusammenarbeit?
Im Zweifelsfall fehlt mir als Führungskraft so doch immer ein relevanter Teil der verfügbaren Information, an der ich Entscheidungen, Handlungen und Kommunikation ausrichte.
Kaffeeküchengespräche sind nicht dazu da, um Teil der expliziten Kommunikation zu sein, lautet diesbezüglich eine weit verbreitete Annahme. Aber was, wenn doch und wenn ja, wie würde eine produktive Variante dessen aussehen?
Vier intensive Tage mit Prof. Gervase R. Bushe
Kürzlich haben wir bei Neuwaldegg 4 Tage lang intensiv mit dem kanadischen Professor Gervase R. Bushe gearbeitet, dem Begründer des Clear Leadership-Ansatzes, um genau dieser (und noch vielen weiteren) spannenden Fragen auf den Grund zu gehen und unsere Clear Leadership-Praxis zu vertiefen. Wir haben geübt und gerungen, reflektiert und beobachtet und so auch viel über uns, unsere Organisation und die vielen „Patterns of Interaction“ gelernt, die unsere Zusammenarbeit ausmachen.
Die Herausforderungen beim Lernen & Entwickeln
Lernen und Entwicklung sind das, worum es bei Clear Leadership geht und es findet sich innerhalb und außerhalb von Organisationen kaum jemand, der dies nicht für die eigene Organisation auf die Agenda setzen würde.
Praktisch ist es nicht ganz so leicht, denn Organisationen sind häufig Systeme, in denen ein stark ausgeprägter „Kompetenzzwang“ zu beobachten ist. Das kann sich zum Beispiel daran zeigen, dass kritische Feedbacks - entgegen der Hoffnung - von den Empfänger:innen nicht freudig entgegengenommen, sondern erklärungsreich abgeschmettert werden. Unter keinen Umständen darf, wo der Kompetenzzwang wirkt, deutlich werden, dass etwas, was ich tue „less than perfect“, also womöglich verbesserungswürdig sein könnte. Der Haken an der Sache ist: je „kompetenter“ ich mich zeigen muss, desto weniger Raum bleibt für Entwicklung. Auch hoher Performancedruck in Organisationen steht kurzfristig oft einer erst mittelfristig bis langfristig wirksamen Entwicklung durch Lernen im Wege.
Wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen?
Indem Lernen zur Kompetenz gemacht wird. „Leaders go first“ ist für dieses Vorhaben ein guter Ansatz, denn Führungskräfte stehen per se unter höherer Beobachtung als andere Mitarbeiter:innen einer Organisation. Ich zeige mich also als Führungskraft lernend und mache Positivbeispiele für Lernen und Entwicklung auch von anderen und für andere sichtbar.
Auf die Haltung kommt es an
Dasselbe Prinzip, nämlich als Führungskraft den ersten Schritt zu machen, greift auch, indem ich mich erkläre, bevor ich Fragen stelle. Nicht selten lösen allein Fragen, die ich als Führungskraft stelle, schon Verunsicherung und Defensive bei meinem Gegenüber aus. Wenn ich aber die Intention meiner Frage voranstelle und teile, was mich an der Situation bewegt und beschäftigt und dabei bei mir und meiner Erfahrung bleibe, hat mein Gegenüber die Möglichkeit, Orientierung und Klarheit über die Situation zu bekommen und wird so vom eigenen ständig ablaufenden Sensemaking (wir alle tun das, es ist ein normaler menschlicher Prozess) entlastet. Oft hat dies einen positiven Effekt, denn die eigenen Gedanken und Interpretationen über andere sind meist wesentlich schlimmer als die Realität. „Lead with intent“ nennt Gervase diesen Kunstgriff, zu dem auch gehört, wann immer möglich und sinnvoll, Bewusstsein (mir selbst) und Transparenz (meinem Gegenüber) über die eigenen Landkarten des Handelns zu schaffen.
Landkarten, die Orientierung geben
Landkarten sind mentale Modelle, die wir uns über unser ganzes Leben hinweg aneignen und woran wir uns im Handeln orientieren. Gervase R. Bushe lädt dazu ein, bewusst mit ihnen umzugehen, sie in der Kommunikation zu nutzen und die Bereitschaft zu üben, sich von anderen Landkarten inspirieren zu lassen und eigene anzupassen.
In unserer gemeinsamen Arbeitswoche haben wir uns intensiv mit den Landkarten des „Clear Leadership-Ansatzes“ befasst. Besonders intensiv waren dabei unsere „Skill Groups“, in denen wir immer neue, weitere Kommunikations- und Reflexionsebenen dazu genommen und vor laufender Kamera geübt haben. Aber auch die anschließenden „Learning Conversations“ hatten es in sich. Dabei geht es darum, im 1:1-Gespräch die eigene Erfahrung zu teilen, die des Gegenübers kennenzulernen und die jeweilige Wirkung im „here & now“ herauszuarbeiten. Mit dieser Klarheit besteht dann das Potenzial, die „Patterns of Interaction“ zu verändern. Nicht, indem ich von meinem Gegenüber erwarte, dass er oder sie fortan etwas anders tut als bisher, sondern indem ich meine eigene Lernerfahrung nutze, um bewusst etwas zu verändern – oder auch nicht.
Mit „Learning Conversations“ die Organisation entwickeln
Was bedeutet das nun für die Kaffeemaschinengespräche? Als „Clear Leader“ arbeite ich darauf hin, einen Raum zu erschaffen, in dem es sicher ist, diese Gespräche direkt zu führen. So, dass eigene Erfahrungen, Meinungen und Eindrücke - auch wenn sie widersprüchlich zu denen der Führungskraft sind - genauso Gegenstand der regulären Kommunikation sein können, wie Zahlen, Daten, Fakten oder die Agenda des kommenden Quartals. Womöglich sind die Mittel und Wege („Learning Conversations“!) ungewohnt und erfordern eine hohe Bereitschaft zur Selbstreflexion und ein großes Maß an Vertrauen. Doch nur wenn das gelingt, kann ich als Manager:in diesen relevanten Teil der Information in mein Management mit einbeziehen. Es geht also um die Entwicklung der Organisation, nicht um eine Kommunikationstechnik. Die Hebel sind tiefgreifende Selbstreflexion und ein ehrliches Interesse an Entwicklung. Darüber gelingt Musterveränderung – ein Gespräch nach dem anderen.
Und was soll ich sagen: der neueste Neuwaldegger Kaffeemaschinentratsch sind aufregende Erfahrungsberichte über gut und weniger gut geglückte „Learning Conversations“. Wir bleiben dran!
Über die Autorin
Friederike Machemer ist seit 2019 Teil der Beratergruppe Neuwaldegg. Ihre Expertise bringt sie als Beraterin und als Trainerin in unseren Weiterbildungsformaten ein. Mit Offenheit und Neugier begleitet sie Menschen und Organisationen in Transformations- und Strategieprojekten sowie in der Entwicklung und Begleitung von Führungskräften. Dabei stellt sie wesentliche Fragen, hört was zwischen den Zeilen steht, und unterstützt den Weg zu klarem, zielgerichtetem Handeln – wachsam, analytisch und empathisch. Aufbauend auf ihrer Erfahrung als Strategieberaterin und einem fachlichen Hintergrund in Wirtschaftswissenschaften, Philosophie und Kulturreflexion arbeitet sie grundsätzlich systemisch und gerne an Themen mit strategischer Verankerung, um Räume für nachhaltige Entwicklung zu schaffen.
Weiterführende Links
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