Mit Sicherheit durch unsichere Zeiten – „Make safety a prerequisit“
In unserer Begleitung von Organisationen erleben wir zurzeit große Unterschiede darin, wie gut es Unternehmen gelingt, die Chancen der Krise gewinnbringend für sich zu nutzen. Während in manchen Firmen die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft aufgrund der außergewöhnlichen Situation sinkt, steigt bei anderen der Output in den Teams. Deshalb widmen wir uns in diesem Blogbeitrag genau diesen Fragen: Was unterscheidet erfolgreiche Teams von nicht erfolgreichen? Und welchen Einfluss darauf haben neue agile Arbeitsweisen, die sich aufgrund der Krise noch mehr in den verschiedensten Unternehmen etabliert haben?
Unserer Ansicht nach scheinen sich die Bedürfnisse der Mitarbeitenden aufgrund der herausfordernden Situation stärker zu verändern, da Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit noch mehr zugenommen haben. Ruft man sich die Maslowsche Bedürfnispyramide in Erinnerung, ist unsere Hypothese, dass es im Moment nicht so sehr um die Befriedigung individueller Bedürfnisse, sondern eher um „Sicherheit“ und „soziale Beziehungen“, geht. Diese Motive scheinen im Krisenmodus eine grundlegende Rolle im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit von Teams zu spielen.
Modern agile
Gefühlte Sicherheit ist damit sowohl ein menschliches Grundbedürfnis als auch ein Schlüssel zur Erschließung hoher Leistungsfähigkeit. In den letzten Jahren haben innovative Unternehmen, Vordenker und Lean/Agile-Pioniere einfachere und schlankere Wege entdeckt, um leistungs- und anpassungsfähig zu sein. Der Ansatz „Modern Agile“ vereint dies in vier Leitprinzipien:
- Make People Awesome
- Make Safety a Prerequisite
- Experiment & Learn Rapidly
- Deliver Value Continuously
Was wir beobachten, ist, dass erfolgreiche Unternehmen die Art und Weise ihrer Zusammenarbeit aktiv und zielorientiert gestalten und dabei bewusst einen Fokus auf den Sicherheitsaspekt setzen. Dies führt dazu, dass sie die Chancen der Krise eher wahrnehmen und gewinnbringend für die ganze Organisation nutzen.
Project „Aristotle“:
Diese Annahme wird durch die Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt „Aristotle“ (Google, 2012) Rework untermauert, welches dem „Geheimnis von Hochleistungsteams“ auf die Spur gekommen ist. Die Studienergebnisse zeigen, dass „Sicherheit“ eine von fünf Schlüsseldynamiken ist, die erfolgreiche Teams ausmachen:
- Psychologische Sicherheit: Ist die Sicherheit innerhalb der Gruppe gegeben, um zwischenmenschliche Risiken einzugehen?
- Verlässlichkeit: Können wir uns aufeinander verlassen, dass wir qualitativ hochwertige Arbeit termingerecht erledigen?
- Struktur & Klarheit: Sind Ziele, Rollen und Ausführungspläne in unserem Team klar?
- Bedeutung der Arbeit: Arbeiten wir an etwas, das für jeden von uns persönlich wichtig ist?
- Auswirkungen der Arbeit: Sind wir grundsätzlich der Meinung, dass die Arbeit, die wir tun, von Bedeutung ist?
Interessant ist, dass „psychologische Sicherheit“ bei weitem die wichtigste der fünf Dynamiken in erfolgreichen Teams ist, da sie die Grundlage für die anderen vier Faktoren ist.
Aus unserer Sicht braucht es daher die Erfüllung dieses menschlichen Grundbedürfnisses um die vielfachen Herausforderungen, die die Krise mit sich bringt, zu meistern und darüber hinaus als Organisation leistungs-, anpassungsfähig und daher erfolgreich zu sein.
Konzept der psychologischen Sicherheit
Der Begriff der „psychologischen Sicherheit“ stammt von Amy Edmondson, Professorin an der Universität Harvard, die 1999 ein Konzept rund um diesen Begriff entwickelte
(Building a psychologically safe workplace).
Um ein psychologisch sicheres Arbeitsumfeld aufzubauen, müssen aus ihrer Sicht folgende Kernelemente im Team gegeben sein:
- offen die Meinung äußern können
- jeder/jede spricht gleich viel
- Mitglieder verfügen über soziale Empathie
- Fehler werden als Lernprobe gesehen
- individuelle Stärken, Talente und Fähigkeiten werden geschätzt
Oder um es mit den Worten von Joshua Kerievsky und Heidi Helfand zu sagen: „Psychologische Sicherheit existiert, wenn du keine Angst hast du selbst zu sein, Probleme zu benennen, Risiken wahrzunehmen, Fragen zu stellen und nicht mit den anderen einverstanden zu sein.“
Psychologische Sicherheit als Erfolgsfaktor für Lernen, Innovation und Wachstum
Wie aus dieser Grafik ersichtlich, braucht es eine hohe psychologische Sicherheit und hohe Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, um in eine Lern- und Entwicklungszone zu kommen. Ist diese nicht gegeben, werden wir bewegungsunfähig und verharren gerade in unsicheren Zeiten in Angst.
Reality Check
Um heraus zu finden, wie es um die psychologische Sicherheit in Ihrem Team steht, laden wir Sie zu einer individuellen Standortbestimmung ein.
Beantworten Sie bitte die folgenden Aussagen anhand folgender Skala: Wie sehr stimme ich der Aussage zu, von 1 (überhaupt nicht) bis 7 (vollkommen):
- Wenn ich im Team einen Fehler mache, wird dieser oft gegen mich verwendet.
- Die Mitglieder meines Teams sind in der Lage, Probleme und schwierige Fragen anzusprechen.
- Personen in meinem Team lehnen andere manchmal ab, weil sie anders sind.
- Es ist sicher, im Team ein Risiko einzugehen.
- Es ist schwierig, andere Mitglieder meines Teams um Hilfe zu bitten.
- Niemand im Team handelt absichtlich in einer Weise, die meine Bemühungen untergräbt.
- Im Team werden meine Fähigkeiten und Talente geschätzt und genutzt.
Summieren Sie nun alle Skalenwerte, wobei die Fragen 1, 3 und 5 folgendermaßen berechnet werden: 8 - Skala = Wert. Die Höchstpunkteanzahl beträgt 49. Auf wie viele Punkte kommen Sie insgesamt? Was sagt das Ergebnis über Ihr Team aus? Worüber gilt es sich zu freuen und wo möchten Sie im Hinblick auf Weiterentwicklung bewusst Maßnahmen setzen?
Psychologische Sicherheit steigern
Es gibt viele Möglichkeiten und Hebel, wie Sie zu mehr psychologischer Sicherheit beitragen können. Auf der Metaebene sind das z.B.:
- Engagement zeigen: präsent sein, Fragen stellen, aktiv zuhören, virtuell auf Körpersprache und Augenkontakt achten
- Verständnis signalisieren: paraphrasieren, Schuldzuweisungen vermeiden, Lösungsorientierung vorleben
- Beziehungen integrativ gestalten: auch Privatem Raum geben, verfügbar und ansprechbar sein, Beiträge vom Team wertschätzen, nicht übereinander, sondern miteinander sprechen
- In die Entscheidungsfindung miteinbeziehen: um Beiträge, Meinungen und Feedback bitten, Entscheidungen begründen und nachvollziehbar gestalten
- Vertrauen fördern: Diskussionen zulassen, Anerkennung geben, Misserfolge/Erfolge teilen, Risiko eingehen
Sie können aber noch viel mehr tun – die Wahl des Meeting Formates hat genauso Einfluss darauf wie das richtige Entscheidungsverfahren und die Haltung der Führungskräfte. Wenn Sie hier mehr erfahren und tiefer gehen möchten, freuen wir uns über einen inspirierenden Austausch.
Kontaktieren Sie uns einfach! Wir wünschen Ihnen viel Freude in der konkreten Umsetzung und nicht vergessen – stay safe!
Quellen:
Modern Agile: Modern Agile
Project Aristotle: Rework
TEDx-Talk - Amy Edmondson: Building a psychologically safe workplace
Die Autorinnen
Elisabeth Dudak ist systemische Beraterin, Trainerin und Coach. Als Arbeits- und Organisationspsychologin beschäftigt sie sich mit dem arbeitsbezogenen Erleben und Verhalten von Personen und Organisationen. Sinnvolle Steuerungsprozesse, neue Formen der Arbeit, die Auswahl und Entwicklung von Personen sowie die kulturelle Gestaltung des Unternehmens mit dem anspruchsvollen Ziel, vorhandenes Potenzial für Personen als auch Organisationen bestmöglich zu nutzen, sind ihre Themenschwerpunkte.
Elisabeth Deutsch ist systemische Unternehmensberaterin und Coach, Scrum Master, Lektorin und vor allem Inspiratorin für Agilität. Seit über zehn Jahren begleitet sie Menschen und Organisationen bei ihren herausfordernden Entwicklungs- und Transformationsprozessen und unterstützt sie dabei, selbstorganisierter und agiler zu werden, Klarheit bei kulturellen Themen zu schaffen und nach ihrem Purpose zu agieren.
Weiterbildungstipps:
Remaking Organizations – A Digital Journey
Ein systemischer, digitaler interaktiver Lernprozess um die Themen agile, digitale, krisenfeste Transformation und Purpose Driven Organizations. Vor wenigen Wochen starteten wir mit unserem neuen Online-Weiterbildungsformat. Mit den begeisterten Teilnehmer:innen sind derzeit Insa Meier, Elisabeth Dudak und Elisabeth Deutsch als Reisebegleiter:innen unterwegs. Bei jedem digitalen Touchpoint stößt ein:e Neuwaldegger Expert:in dazu und bringt ihre:seine Expertise und Praxisbeispiele zu systemischer Organisationsentwicklung, Purpose, Agilität, Change, … ein.
Agiler Freiraum
Ein Praxis-Workshop-Format, das dem Experimentieren mit agilen Facetten dient. Jeder Agile Freiraum widmet sich einem speziellen Thema, z. B. Entscheidungsprozessen, den Dynamiken selbstorganisierter Teams, Fehlerkultur, …
Die nächsten Agilen Freiraum-Termine finden am 15. September (Mit Rollen experimentieren) und 13. Oktober (Mit Fehlern umgehen), live, als ganztägige Workshops statt.