Neuwaldegg & VR – auf neuen Wegen gehen
Mein Weg zur Neuwaldegger VR-Pionierin beginnt kurz vor Weihnachten und mit Kopfschmerzen. Drei Tage vor Heiligabend darf ich mit Christian Schneider von accilium zum ersten Mal einen VR-Raum betreten. Die Brillen haben wir über den Kontakt unserer Kollegin Mo Dickinger-Steiner von accilium ausgeliehen bekommen. In den Händen halte ich jeweils einen Controller und trage eine VR-Brille. Nach einigen administrativen Vorgängen wie der Integration der VR-Brille in mein WLAN und Eingabe von Benutzernamen und Passwort stehe ich neben Christian in einem virtuellen Raum. Also eigentlich bin ich immer noch in meinem Wohnzimmer, aber das kann ich für die nächsten 30 Minuten absolut ausblenden. Was für eine Erfahrung! Wenn ich in meinem Wohnzimmer zwei Schritte gehe, dann gehe ich diese auch im virtuellen Raum. Wenn ich größere Distanzen zurücklegen möchte, dann hilft mir einer der Controller. Christian steht neben mir. Wenn er rechts von mir steht, höre ich seine Stimme von rechts. Wenn er sich nach links bewegt, kommt seine Stimme von links. Wenn wir weiter voneinander entfernt stehen, dann werden unsere Stimmen im Headset leiser. Ich bin beeindruckt von diesem Raumgefühl – rein virtuell und doch so echt. Sogar auf Gegenstände kann man steigen und hinunterblicken. Das passiert erst mal versehentlich und fühlt sich sehr seltsam an, dann habe ich den Dreh schnell raus. Eine gute halbe Stunde verbringe ich mit Christian im virtuellen Raum und habe VR-Blut geleckt. Und Kopfschmerzen danach bekommen.
Gerne möchte ich mit VR weitermachen – mit einer Gruppe darin arbeiten und verstehen, was dadurch möglich wird und was vielleicht auch nicht. Nach so vielen virtuellen eindimensionalen Workshops sehnen wir und unsere Kunden uns nach Begegnung – wir schaffen intensiven virtuellen Austausch, aber so ein Raumgefühl kommt nur teilweise zustande und wäre noch mal die Sahne auf dem Kuchen. Es bietet sich eine Gelegenheit im Mai: Unsere rein digitale Entwicklungsreise „Remaking Organizations“ ist im zweiten Durchgang. Dreizehn sehr entwicklungsfreudige Personen reisen mit uns und lernen mit uns, wie man „Organisation neu machen“ kann. Wo würde es thematisch also besser passen als dorthin. Die Idee manifestiert sich in meinen Gedanken: Können wir gemeinsam auch in Virtual Reality arbeiten? Im letzten Modul ist dieses Mal eine Fallarbeit geplant. Mehr steht noch nicht fest. Das heißt, es gibt viel Gestaltungsspielraum.
Von der Idee zur Umsetzungsentscheidung
Nach einem Gespräch mit Christian zur grundlegenden Idee und den Rahmenbedingungen kommt bei der weiteren Konzeptplanung eine kleine Ernüchterung, denn da steckt ganz schön viel Arbeit und Aufwand drin! Jede:r Teilnehmende muss ein VR-Onboarding erhalten, damit wir die vier Stunden im Touchpoint effizient nutzen können. Mehrere virtuelle Räume müssen vorbereitet werden und die Logistik des Brillenversands macht das Ganze zur echten Herausforderung. Die Teilnehmenden kommen aus der gesamten DACH-Region und jede:r braucht die Brille vor Ort, das heißt, wir müssen diese versichert verschicken und auch wieder abholen lassen. Ein aufwendiges und teures Unterfangen. Ich überlege nach diesen Informationen einige Zeit hin und her, bespreche die Idee mit Kolleg:innen und bekomme unterschiedliche Impulse. Am Ende siegen (glücklicherweise!) meine Neugier und der Wunsch sich ständig weiterzuentwickeln und Dinge auszuprobieren. Wir entscheiden uns, das letzte Modul von Remaking Organizations in Virtual Reality umzusetzen.
Am Ende des nächsten Touchpoints kann ich vor der Gruppe endlich den Vorhang lüften: Remaking Organizations goes Virtual Reality! Ich freue mich über die positiven Reaktionen der Teilnehmer:innen (z. B. „Das ist ja Hammer!“) und bekomme nach dem Touchpoint von meiner Kollegin Barbara gespiegelt, dass meine Freude spürbar war und ich wohl kein Pokerface machen konnte. War auch nicht beabsichtigt! 😊
Was alles vorher zu tun ist!
Jetzt beginnt ein Stück weit der administrative Teil. Jede:r Teilnehmende muss sich einen Termin fürs Onboarding vereinbaren, die Versandadresse für die VR-Brillen nochmal prüfen und ein Profilfoto einschicken. Nach einigen Erinnerungen funktioniert das auch gut, die meisten Termine sind geplant, Fotos eingereicht und Adressen verifiziert.
Inzwischen sind noch zwei weitere Personen zu dem Projekt gestoßen. Christopher und Dustin von accilium unterstützen beim Onboarding und werden auch im virtuellen Raum beim Touchpoint dabei sein. Von unserer Seite sind wir also zwei Trainer:innen (Michael Moeller und ich) sowie unsere Assistentin Martina, von accilium sind es drei Personen – ganz schön viel personeller Aufwand für eine Gruppe von dreizehn Personen.
Die Brillen werden ausgeliefert (eine reist sogar mit einer Teilnehmerin im Handgepäck weiter nach Mallorca!) und die ersten Onboardings laufen an. Bei einigen Onboarding-Terminen bin ich dabei. Geplant sind sie immer für 30 Minuten mit zwei Personen gleichzeitig, allerdings dauert es gelegentlich doch etwas länger. Der Start ist manchmal zäh, da erst einige administrative Herausforderungen gemeistert werden müssen, wie die Integration der Brille ins jeweilige WLAN, Passwort eingeben und Ähnliches. Das ist zu einem Zeitpunkt, wo man mit der Brille, den Controllern und den Funktionen generell noch nicht vertraut ist natürlich eine Challenge! Bei den meisten Teilnehmer:innen klappt es gut, einige haben mit der Technik ein wenig zu kämpfen und bei einigen kristallisiert sich schon jetzt eine (körperliche) Herausforderung heraus, die uns später noch beschäftigen wird: Sie werden „seekrank“ bzw. erleben etwas Ähnliches wie Reiseübelkeit, da körperliche Erfahrung und wahrgenommener visueller Eindruck nicht zusammenpassen. Unsere Körper sind nämlich nicht immer die größten Fans von Innovation.
Christopher, Dustin oder Christian sowie Michael, Martina und ich sind in diesen letzten Wochen vor dem Touchpoint fast täglich im Austausch. Präsentationen werden in Räume hochgeladen, die Räume nochmal virtuell umgeräumt, neue Gruppenräume erstellt, Onboarding-Termine verschoben, Versandadressen adaptiert. Ein interessantes, aber auch zeitintensives Projekt. Aber jedes Mal lerne ich etwas. Und mit jedem Einloggen in den virtuellen Raum geht es dort etwas schneller und leichtfüßiger.
Am Wochenende vor dem großen Tag erzähle ich einer Freundin von meinem Vorhaben. Sie ist hellauf begeistert, nennt mich Pionierin und so endet unser Zusammentreffen damit, dass sie in meinem Wohnzimmer die VR-Brille aufsetzt und sich durch die Räume bewegt. Meine Freude steigt. So fühlt man sich also als Wegbereiterin von Innovation!
Und … Action!
Nach vielen, vielen Abstimmungsschleifen und Vorbereitungstreffen sind wir und die Teilnehmenden am 5. Mai 2021 startklar. Wir haben ein ausgeklügeltes Konzept, was wir wie gestalten wollen und treffen uns wie gewohnt in einer MS-Teams-Besprechung, um dann später in Virtual Reality zu wechseln. Mein Kollege Michael und ich sind nervöser als sonst vor solchen Workshops. Wird alles technisch funktionieren? Werden alle mitmachen können? Wie wird die Reaktion der Teilnehmenden sein?
Nach dem Einsteig in den Touchpoint treffen wir uns nach 40 Minuten erstmals alle in VR. Jetzt wird es spannend. Alle loggen sich ein. Ich bin beeindruckt. Fünfzehn Personen, die sich gleichzeitig in einem Raum aufhalten – das ist man seit Corona gar nicht mehr gewohnt. Fast fühlt es sich an wie ein echter Raum und nicht wie VR. Aus den eingereichten Profilfotos wurden Avatare erstellt, sodass man das Gesicht der jeweils anderen auch im virtuellen Raum sehen kann. Die meisten sind gut zu erkennen, bei einigen hilft es allerdings, dass der Name unter dem Foto angezeigt wird. Verstecken kann man sich hier also nicht. Nun passiert das Erwartbare, wenn man etwas Neues macht: Nicht alles funktioniert sofort. Eine Person hat Probleme mit dem WLAN und wird von Christopher einzeln durchgelotst. Michael und ich sind im selben WLAN in unserem Büro eingeloggt und kämpfen auch mit der Netzwerkverbindung (wodurch zum Beispiel der Ton gelegentlich ausfällt). Einzelne haben jetzt schon Schwierigkeiten mit aufkommender Übelkeit. Trotzdem ist das Erlebnis aufregend. Gemeinsam schauen wir auf ein Slide, wo der zu bearbeitende Fall dargestellt ist, und tauschen uns dazu aus. Dabei passieren auch kleine Dinge zum Schmunzeln. Ein Teilnehmer klickt sich durch die Präsentation, die wir in den VR-Raum hineingespielt haben. Er denkt, dass nur er sieht, dass er schon weiter klickt – dabei sehen alle das Gleiche. Manche Personen sitzen, andere stehen und das „Bodenlevel“ ist somit ungleich, man muss also zu einigen hinauf oder hinunter blicken. Wenn jemand zwischendurch die VR-Brille absetzt, sieht man die „virtuelle“ Person in VR zusammengesackt am Boden liegen. Insgesamt ist es jedoch eine beeindrucke Erfahrung, vor allem für das Gruppengefühl. Wir haben uns noch nie live gesehen, aber jetzt „stehen“ wir gemeinsam vor dieser Präsentation und gehen in Kleingruppen an den Highlights der Module in einem Gallery Walk vorbei.
Nach dieser ersten Runde in Virtual Reality kehren wir auf Teams zurück. Eines wird deutlich: Manchen bekommt VR (noch) nicht besonders gut, sie leiden an Übelkeit. Andere haben damit gar kein Problem. Das eröffnet eine neue Dimension: Zugehörigkeit wird auch über körperliche Reaktionen entschieden. Wir verbringen eine längere Zeit in Teams und entscheiden uns im Trainer:innen-Staff dann ein zweites Mal in VR zu wechseln.
Der zweite Wechsel in VR. Die Gruppen stellen einander ihre erarbeiteten Ergebnisse vor. Wir stehen vor großen Slides, die Christopher oder Christian geschickt durch den Raum bewegen. Wieder klappt technisch nicht gleich alles, einige ziehen es vor – aufgrund der Übelkeit – nicht mehr einzusteigen, aber in Summe ist es ein tolles Erlebnis im virtuellen Raum. In der zweiten Runde werden alle mutiger und sind im Erkundungsmodus. Einzelne stellen sich auf Gegenstände oder bewegen sich geschickt aus der Mitte der Gruppe ins Abseits, um zu beobachten.
Was davon bleibt und wie es weitergehen kann …
Nach dieser zweiten VR-Sequenz kehren wir zurück auf Teams. Jetzt wird es spannend. Denn nach dem inhaltlichen Abschluss der Fallarbeit wechseln wir auf die Metaebene zur Erfahrung mit VR. Alle (auch die, denen es nicht so gut bekommen ist) fanden die Erfahrung spannend und wir kommen zu einer interessanten Frage: Welche Schlüsse können wir für die Zukunft ziehen? Wird so die Zukunft von Organisationen aussehen? Wenn wir beispielsweise an weniger Reisen denken, um das Klima zu schonen, scheint das eine zukunftsträchtige Form der Zusammenarbeit zu sein. Noch sind Kosten und Aufwand für das Zusammensein recht hoch – das wird sich aber wahrscheinlich rasend schnell weiterentwickeln. Vielleicht hat bald jede:r eine solche Brille zu Hause. Einsatzmöglichkeiten sind dabei aus meiner Sicht vielfältig: Coaching, Aufstellungsarbeit, Board-Meetings, Kund:innentermine oder auch im Trainingskontext. Diese körperliche Nähe im virtuellen Umfeld macht einen Unterschied und sogar sonst eher „nüchterne“ Teilnehmende zeigen sich beeindruckt davon, welche Kreativität durch das Raumgefühl entstehen kann. Was (derzeit noch) fehlt, ist die Mimik – die Avatare machen es zwar möglich Personen zu erkennen – aber die Gefühlslage muss man derzeit noch am Klang der Stimme ablesen. Eine Teilnehmerin berichtet, dass sie „total geflashed“ war, da es einer Konferenzteilnahme im realen Kontext sehr ähneln würde, man könne sogar das Geschehen abseits der Menge beobachten. Ich freue mich, dass diese VR-Erfahrung so viele Gedankenanstöße ausgelöst hat.
Nach Ende des Touchpoints treffen wir uns mit allen, die möchten noch einmal für 20 Minuten im VR-Raum. Da macht es dann nochmal richtig Spaß: gemeinsam in den Neuwaldegg-Bus steigen, ein De-Briefing-Gespräch etwas abseits von den anderen führen, sich auf Gegenstände stellen.
Nun zum Fazit – eine Kernfrage, die ich mir stelle, ist: Würde ich es wieder machen? Und die Antwort lautet ganz klar: Ja! Es war nicht perfekt, es gab einige Herausforderungen, aber es war in jedem Fall ein unvergessliches Erlebnis, eine unschätzbare Lernerfahrung und ein gemeinsamer Blick in eine mögliche Zukunft. Wo und wie kann man das anwenden? Die Möglichkeiten sind zahlreich – ich freue mich schon auf das nächste Projekt in VR! Let’s be pioneers! 😊
Über die Autorin
Insa Meier beschäftigt sich schon seit vielen Jahren als Beraterin mit den Themen Führung, Zusammenarbeit im virtuellen Setting und Agile Transformation. Jetzt ist sie auch unsere VR-Pionierin! Bei Neuwaldegg hat sie das erste komplett virtuelle Weiterbildungsformat „Remaking Organizations – A Digital Journey“ entwickelt. In unserem holakratisch organisierten Betriebssystem energetisiert Insa insgesamt 12 Rollen, z. B. Digital Enlightner, Flourisher, Marktkommunikation, Nachhaltiges Neuwaldegg, Produkt-Prototyper, …
Bei der Realisierung unseres VR-Workshops hat uns das Team von accilium unterstützt. Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit!
Remaking Organizations – A Digital Journey
eine virtuelle, systemische und interaktive Lernreise um die Themen agile, digitale und krisenfeste Transformation mit Purpose Drive. Nächster Start: 15. September 2021. Reisen Sie mit?!