Business Improvisation als Antwort auf Un-Gewissheit
In den letzten Jahren beobachten wir in der systemischen Beratung, dass Organisationen nicht nur die Herausforderungen der VUCA-Welt meistern, sondern auch die sich daraus neu bietenden Chancen proaktiv nutzen müssen, um erfolgreich zu sein und zu bleiben. Im Rahmen unseres angewandten Forschungsprojektes mit der Donau-Universität Krems und der Universität Wien setzen wir uns mit dieser Thematik wissenschaftlich auseinander und freuen uns, über die ersten Studienergebnisse, die vieler unserer Annahmen, wie ein gelungener Umgang mit der Un-Gewissheit funktionieren kann, stützen.
Die Welt in der wir leben
Wir arbeiten in einer Welt, in der das Zusammenwirken sozialer, ökonomischer und ökologischer Systeme immer schwieriger durchschau- und vorhersehbar ist. Dies wird umso deutlicher, wenn man sich die großen Treiber des Wandels vor Augen führt. Megatrends, wie etwa die Globalisierung, Konnektivität oder New Work wirken wie eine Veränderungslawine in Zeitlupe, die unsere Gesellschaft und Wirtschaft viel- und weitschichtig verändern. Diesen langfristigen, tiefgreifenden Wandlungsprozessen stehen kurzfristige Phänomene gegenüber, wie etwa die Pandemie, die eine hohe Veränderungsdynamik ausgelöst und disruptive Entwicklungen auf allen Ebenen unseres Daseins hervorgerufen hat.
Wenn wir uns dies bewusst machen, dann können wir mit atemberaubender Sicherheit sagen: „Es bleibt alles anders!“ Diese angenommene „Un-Gewissheit“ wird auch durch unsere Studienergebnisse bestätigt.
VUCA ist kein theoretisches Konzept
Dazu haben wir mit einer interdisziplinär besetzten Forschungsgruppe unter der Leitung von Prof. Lukas Zenk (Universität Krems) einen Fragebogen entwickelt, der unter anderem das VUCA-Konzept untersucht, also inwieweit das Umfeld von Organisationen als volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig beschreiben wird. Die Ergebnisse von insgesamt 62 Probanden zeigen, dass VUCA kein theoretisches Konzept ist! Branchenübergreifend spüren Mitarbeitende und Führungskräfte ihre Auswirkungen direkt und erwarten in den kommenden Jahren noch eine weitere Steigerung der ausgewiesenen Merkmale. Dabei nehmen Führungskräfte die VUCA-Welt stärker wahr als Mitarbeitende, sie beschreiben ihr Umfeld als unsicherer und volatiler.
In unserer Beratungspraxis arbeiten wir tagtäglich in diesem Handlungsfeld, wir begleiten Teams als auch Organisationen in ihrer Transformation. Um unsere praktische Erfahrung mit wissenschaftlichen Studienergebnissen abzugleichen, wollten wir in Erfahrung bringen, was wesentlich ist, um professionell zu improvisieren.
Was es zum professionalen Improvisieren braucht
Um improvisationsfähig zu werden, zu sein bzw. zu bleiben braucht es unserer Ansicht nach nicht nur individuelle Voraussetzungen und Kompetenz, es braucht auch organisationale Rahmenbedingungen, welche den professionellen Umgang mit unvorhergesehenen Situationen fördern. Danach fragend, haben wir eine Unzahl von Antworten bekommen, die wir folgendermaßen kategorisieren:
- Agile Grundhaltungen und Fähigkeiten:
Flexibilität, Neugierde, Spontanität, Offenheit, Kreativität, Reflexionsfähigkeit, analytisches Denken und einfühlsames Handeln, Beobachtungs- und Interpretationsgabe, Lösungs- und Ressourcenfokussierung, Experimentierfreude, Spiel- und Erfahrungslust, Liebe zum lebenslangen Lernen - Psychologische Sicherheit:
Offenheit im sozialen Umgang, Verletzlichkeit zeigen, zwischenmenschliche Risiken eingehen können, Fehler als Lernprobe verstehen, individuelle Stärken, Talente & Fähigkeiten schätzen - Leadership:
Entscheidungs- und Handlungsspielrahmen, Vertrauens- und Fehlerkultur, Bereitschaft Regeln und Prozesse laufend anzupassen, Empowerment und Partizipation - Persönlichkeitseigenschaften:
Selbstbewusstsein, -sicherheit und -vertrauen, Eigenverantwortung, positive Haltung gegenüber Veränderungen, Widerstandsfähigkeit, Humor, Zuversicht und Hoffnung
Improvisation als paradoxes Phänomen
Laut unseren Studienergebnissen erleben Personen, die improvisieren einerseits eine positive Herausforderung, die durch kreative Lösungsorientierung und -findung Spass und Freude bringt. Andererseits fühlen sie sich unsicher in ihrem vermeintlichen, unprofessionellen Verhalten, was Überforderung und Stress auslöst.
Hierbei unterscheiden sich Führungskräfte, die solche Situationen eher als “gewohnt” und “routiniert” sehen, aber auch weniger positiv bewerten als Mitarbeitende. Eine mögliche Interpretation ist, dass Führungskräfte einerseits bereits stärker die Auswirkungen der VUCA-Welt erleben und in den letzten Jahren Strategien entwickelt haben, um damit umzugehen, jedoch der Annahme in der Führungsarbeit „alles unter Kontrolle haben zu müssen“ unterliegen.
Improvisation als entwickelbare Zukunftskompetenz
Als systemische Berater:innen begleiten wir unterschiedlichste Organisationen im Rahmen ihrer Transformationsprozesse und stellen immer wieder fest, dass der Wunsch nach Planbarkeit und Sicherheit im Rahmen von Veränderungen nach wie vor stark ausgeprägt ist, jedoch im realen Arbeitsumfeld – aufgrund der oben beschriebenen Rahmenbedingungen – nicht realisierbar ist.
Das Agieren in einer dynamischen Umwelt kann mitunter auch zu Überforderung führen, wie unsere Studienergebnisse zeigen. Führungskräfte und Mitarbeiter:innen des 21. Jahrhundert sind gut beraten, sich auf ständig ändernde Rahmenbedingungen mental einzulassen und auf eine zeitgemäße Art und Weise zu reagieren.
Aus unserer Sicht gelingt dies durch „Improvisation“, welche wir als zentrale Zukunftskompetenz erachten. Sie ermöglicht es – laut unserer Definition – im steten Wandel handlungsfähig zu sein und zu bleiben. Darunter verstehen wir einen professionellen Umgang mit unvorhergesehenen Situationen, in denen kurzfristig, abseits von bisherigen Routinen gedacht und gehandelt wird. Führungskräfte und Mitarbeitende agieren im „Hier und Jetzt”, sie reagieren auf Basis aktuell vorhandener Ressourcen auf Unvorhergesehenes und entwickeln im Moment neue Ideen proaktiv. Diese Fähigkeit erachten wir als zentrale Zukunftskompetenz, die es für Personen als auch für Organisation stärker zu entfalten gilt.
Um unsere Hypothese zu prüfen, haben wir nach der Wichtigkeit und nach dem Bedarf von Improvisation im organisatorischen Umfeld gefragt. Unsere Studienergebnisse zeigen, dass Improvisation ein ausgeprägter Stellenwert zugeschrieben und der Bedarf als hoch eingeschätzt wird. Nach der Improvisationsfähigkeit gefragt, zeigt sich, dass es sich im beruflichen Umfeld konkret um Experimentieren, flexibles Agieren, schnelle Anpassung an aktuelle Gegebenheiten und Kooperation handelt.
Unsere Studienteilnehmer:innen schreiben sich selbst hohe Fähigkeiten zu, dabei bewerten sich Führungskräfte jedoch besser als Mitarbeitende. In Hinblick auf das Team und die Organisation wird die Improvisationsfähigkeit jedoch in geringerem Ausmaß wahrgenommen.
Durch dieses Ergebnis fühlen wir uns in unserer Arbeit bestätigt, dass der professionelle Umgang mit unvorhergesehenen Situationen, in denen kurzfristig, abseits von bisherigen Routinen gedacht und gehandelt werden muss, durchaus auch positiv gesehen und bewertet wird. Wie uns die griechische Philosophie lehrt, sind es oft nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben.
Wenn wir durch unsere Beratungsbrille schauen, sehen wir, dass sich Organisationen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten den aktuellen Veränderungen anpassen und verschiedenste Voraussetzungen für einen professionellen Umgang mit der Un-Gewissheit unserer Zeit gegeben sind. Unser Praxisblick wird durch die Studienergebnisse bestätigt.
Förderliche und hinderliche organisationale Rahmenbedingungen
In unserer Analyse zeigt sich, dass die Rahmenbedingungen in verschiedenen Branchen sehr unterschiedlich bewertet werden. So werden vor allem in der öffentlichen Verwaltung, Industrie und Handel die Rahmenbedingungen für Improvisation als “mühsam”, “hinderlich” und “unprofessionell” bewertet. Im Vergleich dazu werden die Rahmenbedingungen in der IT und insbesondere in der Beratung und im Consulting durchgehend förderlicher eingestuft.
Die statistische Auswertung zeigt uns, dass es einen signifikanten Zusammenhang gibt, zwischen der Bewertung des organisationalen Umfeldes (hohe Einschätzung der VUCA-Merkmale) und der Wichtigkeit bzw. des Improvisationsbedarfs. Je eher sich Organisationen Volatilität und Unsicherheit in ihrer Umwelt ausgesetzt fühlen, desto größer ist der Bedarf professionell improvisieren zu können.
Beantwortung unserer Forschungsfrage
Damit Menschen als auch Organisationen in zunehmend komplexen und unvorhergesehenen Arbeitskontexten handlungsfähig sind und bleiben, möchten wir herausstreichen, dass professionelles Improvisieren eine wichtige Zukunftskompetenz darstellt, deren Bedarf erkannt und entwickelt werden kann. Die Reflexion und Förderung der persönlichen Improvisationskompetenz ist wichtig, da sie zur Entwicklung eines agilen Mindsets beiträgt. Wobei die psychologische Sicherheit nach Amy Edmondson (1990) signifikant nachweislich die Improvisationsfähigkeit von Gruppen steigert. Dies wiederum führt dazu, dass die agile Adaptionsfähigkeit von Organisationen gestärkt und der erfolgreiche Umgang mit der VUCA-Welt sichergestellt wird.
Unsere Forschungsarbeit hat hier jedoch kein Ende – es ist ein erster Einblick für Sie!
Für uns ist es der Beginn einer Reihe von Forschungsaktivitäten, die wir in Kooperation mit der Donau-Universität Krems und der Universität Wien durchführen, um der Un-Gewissheit unserer Zeit mit Wissen und Erfahrung zu begegnen😊
Wenn Sie Interesse und Lust an der Diskussion unserer Studienergebnisse und der Implikationen für die Praxis haben, laden wir Sie herzlich ein, Teil der Forschungsreise zu werden. Nehmen Sie dafür gerne mit uns Kontakt auf! Wir freuen uns auf Sie!
Über die Autor:innen
Elisabeth Dudak
Partnerin, Beraterin, Forschungsgestalterin
David Max Jeggle
Berater, Forschungsgestalter
Lukas Zenk
Professor Donau-Universität Krems, Netzwerkpartner, Co-Trainer, Forschungskooperationspartner
Weitere spannende Links
Mit Sicherheit durch unsichere Zeiten – Make safety a prerequisit – psychologische Sicherheit – Blogbeitrag
Podcast Business Improvisation – Wie Techniken aus dem Improvisationstheater in der VUCA-Welt helfen
www.improvisation.science
Youtube-Channel der Forschungsgruppe