Wie den Rhythmus in einer agilen Transformation umstellen?
Kennen Sie das? Eine Zeit lang bewegt man sich in einem bestimmten Rhythmus und findet eine neue Praxis die man liebt. Mir fällt dazu Journaling am Morgen, die fix geplante Joggingrunde am Wochenende oder Meditieren ein. Und plötzlich habe ich keine Lust mehr drauf und es fühlt sich fad an. Es scheint, als ob dieser Rhythmus seinen Zweck bei mir nicht mehr erfüllt. Was dann? Ist das gut für mich oder nur eine Ausrede? Ich war doch so stolz darauf, es hat mir so viel gegeben … – dieses Phänomen beobachten wir auch in unseren Beratungsprojekten zu agiler Transformation.
Genau so erging es mir in einem Kundenprojekt. Damit die agile Transformation in Bewegung kam, wurde zuerst mit viel Energie und Enthusiasmus ein neuer Rhythmus in der Organisation gelernt:
- Es gab Sprints, die gut getaktet waren. Dabei wurden neue Dinge ausprobiert, Prototypen entwickelt. Der Fortschritt war enorm!
- Das Feuer brachten Reviews alle 4 bis 5 Wochen. Dort tauschte man sich aus, kritische Entscheidungen wurden getroffen, gemeinsam wurde Neues gelernt.
- Auch Meetingformate, Reflexionsschleifen und kleine kreative Workshops waren Formen um auszuprobieren und zu lernen.
Und auf einmal wurde auch den Mitgliedern der Organisation langweilig. Es war nicht mehr so anziehend dabei zu sein, die Learnings waren nicht mehr so aufregend, es fühlte sich nach mehr vom selben an. Personen fragten sich laut: Brauchen wir das noch? Was kommt als Nächstes?
Alles sehr gute Fragen! Aber was braucht es dann? Keine leichte Frage!
Es scheint, dass der etablierte Rhythmus einen zu geringen Unterschied macht. Bisher war der Fokus auf Lernen von Neuem und gleichzeitig Vorankommen im Echtbetrieb.
Folgende Ansätze, Modelle und Gedanken haben mir geholfen:
1. Welche Funktionen hatten die unterschiedlichen Formate bisher und welche Wirkungen wurden erzeugt?
Dabei hilft mir die Differenzierung von inhaltlich, sozial, zeitlich und räumlich. Auf Basis dieser Erkenntnisse wird schnell klar:
- Was gilt es zu bewahren?
- Was ist bereits in Fleisch und Blut übergegangen und muss nicht mehr angespielt werden?
- Und worin muss ganz einfach noch gelernt werden und ist vielleicht auch deshalb zäh?
2. Wofür könnte dieses Phänomen stehen und welche Hypothesen habe ich dazu?
Da hilft natürlich die systemische Schleife! Folgende Fragen waren in dieser Analyse zentral:
- Was sind die Dinge, die zu beschützen sind, damit die neuen Fähigkeiten nicht verloren gehen?
- Welche Anzeichen könnte es geben, dass das Pendel zurück in alte Muster schwingt?
- Welche neuen Fragen könnte es geben, auf die es andere Vorgehensweisen braucht?
- Worin ist diese Organisation schon wirklich gut und was kann deshalb auch losgelassen werden?
- Was könnte noch sein?
3. Welche Dynamiken erlebt dieser Change gerade inhaltlich und emotional?
Ein guter Zeitpunkt um zu evaluieren! Wo ist man bereits auf einem guten Weg und wo nicht? Welche Bereiche stehen wo und welche Relationen haben sich auch untereinander verändert? Wie geht es den Mitarbeiter:innen und was brauchen Sie in dieser Transformation? Dabei hilft mir auch nochmal die Verortung des Ganzen und der Teile in der Transformations-Landkarte um eine Metaperspektive zu erhalten. (Hier geht es zu einer Vertiefung zur Transformationslandkarte.)
Dabei wird mir klar: In manchen Bereichen hat sich das Anliegen verändert. Es braucht tatsächlich etwas anderes.
Auf Basis dieser aktuellen Systemanalyse kristallisierten sich neue Stoßrichtungen heraus, die wir gemeinsam in der Organisation bearbeitet haben. Wie immer ist es das Kundensystem, das die besten Antworten kennt: Manches kann wegfallen, anderes wird ersetzt. Gleichzeitig werden manche Formate geschärft, um gefragte Fähigkeiten zu stärken.
Das erinnert mich wieder an mich: Nach jahrelanger Ashtanga Yoga Praxis (dabei macht man immer denselben Übungsablauf), ist mir aufgefallen, dass ich die Übungen nicht mehr exakt ausführe. Es war ganz einfach zu langweilig, zu viel Routine, ich wurde ungenau. Deshalb habe ich auf eine Online-Praxis umgestellt, da gibt es immer wieder neue Impulse und Abläufe! Das macht Freude und gleichzeitig konnte ich so einen neuen Rhythmus finden, ohne dabei meinen Yoga-Takt zu verlieren. Ich glaube so ähnlich ist es auch in agilen Transformationen: Es braucht immer wieder Rhythmus-Anpassungen und gleichzeitig einen Grundtakt im Sinne der Veränderung!
Übungstipp für Gruppen
Boos, Buzanich (2020): Buch „Moving Organizations“, Seite 280
Diese Übung kommt aus dem Improvisationstheater und übt die Anspielbarkeit im Hier und Jetzt. Die Gruppe steht im Kreis und klopft mit beiden Händen auf die Oberschenkel in einem gemeinsamen Rhythmus, wobei alle im Rhythmus „Basis, Basis, Basis, …“ sagen. Ist der erste Grundrhythmus geübt, stellen Sie als Moderatorin den nächsten Schwierigkeitsgrad vor, während alle anderen weiter den Basis-Rhythmus weiterklopfen. Sie nehmen beide Hände, zeigen auf sich selbst und sagen: »Focus on me«, und dann zeigen sie mit beiden Händen auf eine andere Person und sagen: „Fokus on you“. Die Person, die Sie angesprochen haben, übernimmt und macht dasselbe wie Sie: Hände auf sich richten, „Focus on me“, und die Hände auf wen anderen richten, „Focus on you“. Das alles im Basis-Rhythmus, über mehrere Runden. Ist dies gut etabliert, kommt der dritte Schwierigkeitsgrad. Die beiden Nachbar:innen der Person, die neben dem Fokus stehen, drehen sich zur Person, sagen „Unterstützung, Unterstützung“ und überkreuzen und öffnen bei jedem Wort ihre Arme, machen dies also zweimal. Ist auch dies gut etabliert, kann man immer schneller werden. Diese Übung kann wunderbar ausgewertet werden mit Fragen wie: Was war schwierig und was war hilfreich? Wie anstrengend war die Übung und warum? Was waren Unterstützungsmechanismen? Wie interpretiert man jetzt „immer anspielbar zu sein“? Was bedeutet „Hier und Jetzt“? (Kennengelernt von Agnes und Lukas Zenk.)
Über die Autorin
Barbara Buzanich-Pöltl ist Beraterin und Managing Partnerin bei Neuwaldegg. Sie ist Co-Programmleiterin des Change Campus, Programmleiterin unseres Gender Equality Labs und Keynote-Speakerin. Neben ihrem Herzensthema Gender Equality bewegen sie vor allem die Themen Agile Transformation und Purpose und Strategie. Dazu hat sie auch mit Frank Boos das Buch „Moving Organizations“ geschrieben und sie ist Programmleiterin des Workshop-Formats Agiler Freiraum, das dem Experimentieren mit agilen Facetten dient.
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