Selbstorganisation leben
Wie lange übt ein Impro-Jazz-Pianist, um mit Leichtigkeit zu spielen? Und was hat diese Frage mit unseren Erfahrungen in der Begleitung von selbstorganisierten Teams zu tun?
Immer wieder arbeiten wir mit Organisationen, die Elemente der Selbstorganisation eingeführt oder sich voll und ganz selbstorganisiert haben, die folgendes berichten:
Sie sind nicht zufrieden, wie die neue Art der Organisation in der Praxis gelebt wird. Die Selbstorganisation scheint nicht wirklich ins Leben zu kommen. Die neuen Regeln und Prozesse sind korrekt beschrieben – keine Frage – alles wurde „richtig“ gemacht, dennoch bleibt die Anwendung holprig und mühsam.
Diejenigen die damit arbeiten, fühlen sich nicht eins damit. Es fühlt sich ziemlich „eckig“ an, und man „stößt“ sich mehr an den neuen Regeln, Meeting-Formaten, Rollenkonzepten als dass es sich ‚rund‘ und fließend anfühlt. Nach dem lebendigen Flow einer Improvisation im Jazz fühlt es sich häufig nicht an, sondern eher nach einer brav einstudierten Sonate, die korrekt wiedergegeben wird, der allerdings die Lebendigkeit im Ausdruck fehlt.
Das ist schade, da oft viel Zeit, Geld, Energie und Hoffnung in die Einführung von Praktiken der Selbstorganisation fließen und das Potential bei weitem noch nicht genutzt wird.
Das Lebendigkeitsbarometer der Selbstorganisation als Wegweiser
Deshalb haben wir so etwas wie ein „Lebendigkeitsbarometer“ der Selbstorganisation entwickelt, das einen möglichen Entwicklungsweg aufzeigen kann.
Die Basis bildet das gemeinsame Know-How über die Praktiken der Selbstorganisation (Meetingformate, Arbeit mit Rollen, Arbeit mit Spannungen, etc.). Hier braucht es ein gemeinsames Wissenslevel bei allen Beteiligten. Im Klavierspielen gedacht, bedeutet das so viel wie die Noten zu beherrschen und zu verstehen welche Taste am Klavier welchen Ton hervorbringt. Um ein Stück zu spielen, braucht es allerdings mehr.
Der zweite Schritt ist erreicht, wenn jede:r einzelne die Strukturen und Prozesse, die aufgebaut wurden, auch tatsächlich nutzt, also Spannungen löst, sich in den Meetings rollenbasiert einbringt, etc. Das bedeutet die Leute beherrschen das Klavierspielen, die Noten sitzen, es wird stetig geübt.
Die letzte Ausbaustufe unseres Barometers macht die Sache allerdings erst „rund“. Auf diesem Level wird Selbstorganisation als Gemeinschaft mit Überzeugung, Hingabe und Leidenschaft gelebt. Dabei ist vor allem die Haltung entscheidend. Zum Beispiel das Wohlwollen als wichtigstes Prinzip im Miteinander. Der Blick auf die anderen, in denen ich „Genies“ sehe, die ihr Bestes einbringen an Stelle von „Idioten“, die keine Ahnung haben und alles falsch machen. Wenn wir an diesem Punkt sind, dann fangen wir an miteinander im Flow Klavier zu spielen. Dann bewegen wir uns frei, weil wir die Basis beherrschen. So fühlt es sich lebendig an.
Bildlich dargestellt sieht das so aus:
arrow_forward Wie das Eckige schließlich rund wird (animinierte Darstellung)
arrow_forward Youtube-Video: Wie Selbstorganisation rund wird
Auch wir Neuwaldegger:innen haben einige Jahre damit verbracht, uns an dem System der Selbstorganisation „zu stoßen“ und haben uns gefragt, warum es sich nicht „leichtfüßiger“ anfühlt damit zu arbeiten, bis uns der Knopf zu dieser Frage aufgegangen ist – bzw. immer mehr aufgeht. Am Ziel angekommen sind wir noch lange nicht, allerdings sind wir alle zu 100 % committet und unser Weg der Weiterentwicklung bleibt eine spannende Forschungsreise.
Wir teilen unsere Erfahrungen und Erkenntnisse dazu sehr gerne! Wenn Sie selbst an einem ähnlichen Punkt stehen, freuen uns wir uns mit Ihnen darüber zu sprechen.
Über die Autor:innen
Anna Jantscher ist Beraterin, Trainerin, Equity Partnerin, eine der Programmgestalter:innen des Neuwaldegger Change Campus und Co-Buch-Autorin von „Being in Organisations“, wo es um gelingende Beziehungen zwischen Mensch und Organisation geht. Sie beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie die Transformation von Organisationen, Teams und Individuen hin zu Selbstorganisation, Agilität und Purpose Drive gelingen kann. Als Betriebswirtin war sie viele Jahre im Personalmanagement tätig, bevor sie den Weg in die Begleitung und systemische Beratung von Organisationen und Menschen gegangen ist.
Monika Dickinger-Steiner ist Beraterin, Coach, Partnerin. Seit ihrer Ausbildung zum Holacracy Coach gestaltet sie bei unseren internen Meetingformaten, bei denen alle Neuwaldegger:innen im Zwei-Wochen-Rhythmus zusammenkommen, Holacracy Learning-Sessions – kleine Wissens- bzw. Praxis-Happen, die unseren Blick auf die eigene Praxis schärfen und uns an unserer eigenen Weiterentwicklung dranbleiben lassen.