Fokus auf Beziehungspflege
Alle Sommer wieder fahren wir Neuwaldegger:innen auf Klausur. Ganz im Sinne von „connection first, content later“ lag der Fokus diesmal auf Beziehungspflege. An zweieinhalb Tagen ging es darum, Konflikte auf den Tisch zu legen, sie besprechbar zu machen und zu lösen.
Drei Aspekte waren dabei prägend
- Die Begegnung mit uns selbst: Achtsamkeits- und Journaling-Übungen haben einen Raum in uns eröffnet, um zu erforschen, was an Beobachtungen, Gedanken und Stimmungen präsent war.
- Die Begegnung mit einer Person (im 1:1 Format): Konkret haben wir mit dem Erfahrungswürfel aus der © Clear Leadership-Methode von Gervase R. Bushe gearbeitet – einem Gesprächsformat, das dabei hilft, uns der eigenen Bewertungen und Gedanken klarzuwerden und die jeweiligen Wirklichkeiten der:s anderen auszuloten.
- Die Begegnung in der Gruppe: Dabei haben wir mit mehreren Settings experimentiert, etwa mit dem © Matrix Leadership von Amina Knowlan oder der Fishbowl-Methode.
Die Themen, die wir so behandelt haben, umfassten z.B. „Zusammenarbeit intern“ oder „Umgang mit eigenen und anderen (Zeit-) Ressourcen“ oder auch „Feedback (miteinander, statt übereinander)“. Und auch unsere Teamtage waren ein Thema: Wer wann (warum, nicht) daran teilnahm. Weshalb die Meetings (manchen) mehr Kraft kosteten als sie inspirierten. Ob mehr Operatives oder Strategisches, Organisationales oder Soziales im Fokus sein sollte, oder auch: wie die Tage getaktet sein sollten.
Immer wieder kamen starke Gefühle hoch. Trauer, Scham, Wut. Da tanzte manch eine:r von uns „auf dem Vulkan“ und wollte nicht mehr reden, aus Angst, das Gesicht zu verlieren oder anderen auf den Schlips zu treten.
Unter der Oberfläche ging es darum, tiefer liegende Fragen zu verhandeln:
- Wie sehr muss sich die Organisation auf den Menschen einstellen? Wie sehr sich die Menschen auf die Organisation? Ist es ok, von jedem Teamtag zu erwarten, dass er mich – als Mitarbeiter:in – begeistert? Oder ist es auch ok, wenn er mich persönlich langweilt oder ermüdet, weil es für die Organisation notwendig ist?
- Wann spreche ich aus einer Rolle heraus, wann aus meinen eigenen – ureigensten – persönlichen Bedürfnissen?
- Wieviel informelle Macht hat wer? Aufgrund welcher Zuschreibungen? Macht es einen größeren Unterschied, wenn eine Person etwas sagt, als eine andere? Für wen? Und wer kann sich dagegenstellen, wer nicht?
- Wie sehr gehe ich in die Distanz? Oder kippe ich in das Gegenteil – die Fusion – mit anderen? Indem ich sie entweder vor schlechten Gefühlen schützen möchte, und daher mich oder meine Meinung zurückhalte. Oder indem ich ihnen signalisiere, dass sie nur ja nicht gewisse Themen ansprechen sollen, denn sonst könnten sie mich verärgern.
- Wie sehr muss ich mich öffnen und Beziehungsarbeit leisten? Oder wie sehr kann ich mich darauf zurückziehen, dass andere auf mich zukommen?
- Wie sehr kann ich in der Beobachtung bleiben? Und wie oft falle ich in Bewertungen und Abwertungen zurück, ohne sie jedoch als solche zu erkennen? Sondern sie – im Gegenteil – als Wahrheit zu verkaufen. Mir selbst, und anderen.
Haben wir auf all diese Fragen Antworten erhalten?
Mitnichten.
Gelernt haben wir
- Wie viel Zeit Beziehung braucht, um wirklich wachsen zu können.
- Wie sehr es Übung braucht, in einer Haltung der Neugierde zu bleiben und den eigenen Raum offen zu halten, wenn alles in einem schreit: „Aua, das hat jetzt weh getan.“ Oder: „Stopp, bis hierhin und nicht weiter!“
- Dass Vertrauen von Vertrautheit kommt und auch etwas mit ZuTRAUEN, also Mut zu tun hat. Auf allen Seiten.
- Dass Feedback mehr ist als der Abgleich von Fremd- und Selbstbild. Vielmehr ist es Nahrung für die Seele.
- Und wir haben uns den Erfahrungsschatz von gelingenden Gesprächen mitgenommen. Die Qualität des Zuhörens und auch die größere Klarheit über das, was man sich selbst und anderen „erzählt“.
Das alles strahlte bis in unsere Teamtage in den Herbst hinein. Denn zurückgekommen machten wir uns gleich daran, unsere Meetings umzugestalten. Und Klärungsgespräche sind nun ein fixer Bestandteil darin!
Bücher:
- Bushe, Gervase R. (2010): Clear Leadership. Sustaining Real Collaboration and Partnership at Work. John Murray Business.
- Weckert, Al und Oboth, Monika (2017): Der Tanz auf dem Vulkan. Gewaltfreie Kommunikation und Neurobiologie in Konfliktsituationen. Junfermann Verlag.
Beschriebene Methoden
© Clear Leadership / Erfahrungswürfel (Gervase R. Bushe)
Ziel ist es, durch das Zuhören von der Erfahrung des Gegenübers zu lernen und gemeinsam zu erforschen. Das schließt lustige Erfahrungen oder Aspekte genauso mit ein, wie schwierige. Dabei nehme ich eine bewusste, neugierige und wertschätzenden Haltung ein, um die Erfahrungen des Gegenübers ganz zu erfassen, ohne (mich selbst) zu rechtfertigen, ohne zu urteilen oder auch ohne (sofort) etwas ändern zu wollen.
Vier Fragen leiten das Gespräch:
- Was beobachte ich?
- Welche Gedanken, Geschichten oder Narrative entstehen dazu bei mir?
- Welche Gefühle werden dadurch ausgelöst?
- Welchen Wunsch habe ich an dich.
Kenner:innen der © Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg könnten Ähnlichkeiten sehen. Der Unterschied ist, dass in der Gewaltfreien Kommunikation Bedürfnisse den dritten Schritt bilden, während das Element der Gedanken und Geschichten fehlt. Jenes ist aber essenziell: Denn wir Menschen kommen kaum umhin, uns unsere eigenen „Geschichten“ über das zu machen, was wir erleben. Urteile, Gefühle, Gedanken, Ahnungen, Vorwürfe, vermeintliche und echte Fakten – alles werfen wir in einen Topf. Gervase R. Bushe nennt das den „interpersönlichen Brei“.
Ein Beispiel: heute Früh habe ich mich über dein Zuspätkommen geärgert. Meine Geschichte im Kopf dazu war, dass es dich nicht kümmert, ob wir – deine Kolleg:innen – auf dich warten. Das finde ich respektlos.
Was daran ist eine Beobachtung? Dass du später gekommen bist, als vereinbart war. Was ist das Gefühl? Ärger. Alles andere ist meine „Geschichte“, die ich mir in meinem Kopf zusammengesponnen habe. Das Sprechen durch den Erfahrungswürfel hilft, diesen Geschichten auf die Schliche zu kommen, und so den interpersönlichen Brei zu klären.
© Matrix Leadership (Matrix Leadership Institute/Amina Knowlan)
ist ein Format, das direkte und transparente peer-to-peer Kommunikation vor einem versammelten Team ermöglicht: „in the eyes, ears and minds of the whole team.“ In der Praxis heißt das, dass jede Person zu einer bestimmten zweiten Person spricht, ohne dass zur ganzen Gruppe und/oder zur Führungskraft gesprochen wird. Person A sagt z.B. etwas zu Person B, welche ihrerseits das Gesagte von A paraphrasiert (d.h. mit ihren Worten wiederholt), während alle anderen im Kreis sitzend zuhören. Dann wählt B selbstständig eine Person C aus, zu der sie wiederum spricht. Das Format verlangsamt, lässt Zuhören zu und eröffnet eine Intimität im Gespräch, die ungewöhnlich dafür ist, wenn eine ganze Gruppe im Kreis sitzt.
Die Fishbowl-Methode
ermöglicht Diskussionen mit einer größeren Gruppe. Hier sitzt ein kleiner Kreis von 4-6 Personen innen in einem Sesselkreis und spricht, während ein größerer Außenkreis zuhört. Will jemand aus dem Außenkreis an dem Gespräch teilnehmen, wechselt er oder sie in den Innenkreis, während eine Person aus dem Innenkreis hinauswechselt. Dadurch können auch hier alle das Gespräch mithören. Gleichzeitig kann ein intensiver Dialog im Kleinen stattfinden.
Über die Autorin
Astrid Reinprecht ist unsere frischeste Neuwaldegger:in. Seit 2023 verstärkt sie die Beratergruppe mit ihrer Expertise, die sie aus Wissenschaft, öffentlichem DIenst, aus der Kultur und Non-Profit Organisationen mitgebracht hat. Die Mediatorin und systemische Beraterin begleitet Einzelpersonen, Teams und Organisationen in Konflikten und Veränderungsprozessen. Inspiriert von den empirischen Einsichten der positiven Psychologie hat sie 2019 ein Buch zu Positiver Mediation geschrieben, um zu zeigen, wie das Potenzial positiver Wahrnehmungen von Stärken- und Lösungsfokussierung auch in schwierigen Situationen genutzt werden kann. Gemeinsam mit Anna Jantscher hat sie die Neuwaldegger Sommerteamtage 2024 gestaltet.