Sommerteamtage
Das Neuwaldegger Jahr beginnt und endet im späten August – ein guter Zeitpunkt, um erholt und inspiriert vom Sommer den strategischen Auftakt für einen eigentlich immer dichten Herbst zu setzen, der sich auch in diesem Jahr zu unserer großen Überraschung abzeichnet.
Zu Beginn des Lockdowns hatten wir noch ganz andere Szenarien gesponnen – um so spannender finden wir die aktuelle Entwicklung. Womöglich erzählt sie uns auch eine Geschichte über Resilienz – ein Thema, das uns derzeit intensiv beschäftigt und das auch in Barbara Buzanich-Pöltls und Frank Boos druckfrischem Buch eine entscheidende Rolle spielt. Darin geht es um „Moving Organizations“ und der Begriff zeigt uns: ja, es geht um Agilität und ja, es geht um damit einhergehende Steuerungslogiken und Haltungsfragen – auch Führung und die Umverteilung von Macht spielen zentrale Rollen. Doch eine „Moving Organization“ ist noch mehr als das: sie ist Raum für Entwicklung und sowohl am Markt als auch nach innen anpassungs-, spiel- und innovationsfähig und zugleich konstant, stabil und ausdauernd. Ganz bewusst haben die Kolleg:innen also den Agilitätsbegriff erweitert, denn ohne stabilisierende Faktoren, wie sie auch in der aktuellen Krise wieder an Relevanz gewonnen haben, gerät die „Moving Organization“ aus dem Takt. Am ersten Tag unserer Strategieklausur haben wir gemeinsam die letzte Rohfassung des Buchs diskutiert, um Begriffe gerungen, rote Fäden verfolgt und ganz neue Möglichkeitsräume entdeckt. Die „Moving Organization“ wurde also schon vor Veröffentlichung zum neuen Schatz und Denkanstoß für unsere tägliche Arbeit in und mit Organisationen, welcher besonders bei agilen Transformationsprozessen einen umfassenden Zugang anbietet.
So wie wir unseren Kunden regelmäßig zumuten die gewohnten Pfade zu verlassen, haben auch wir beschlossen, dieses Jahr auf jeglichen Komfort und viel zu selbstverständlichen Luxus zu verzichten, zugunsten gutem Austausch mit gleichzeitig genügend Abstand zueinander, frischer Luft und einem Ort in Wien, an dem bislang noch nie tagende Berater:innen versorgt wurden, an dem man sich vielmehr einer sozial- ökologischen Aufgabe verschrieben hat. Die Rede ist von den rund 15 lebendigen Initiativen, die sich unter dem Dachverband „Die kleine Stadtfarm“ verbergen und die auf dem ehemaligen Gelände des Polzer Hofs in der Wiener Lobau ihre Arbeit vorantreiben. Therapeutisches Reiten findet hier genauso statt wie Gemüsebau, eine Tischlerei und der Betrieb eines Bauernladens mit Café. Auch kulturell ist dieser Ort sehr vielfältig. So gibt es eine philippinische Community, die direkt neben der afghanischen Community ihre Gemüsefelder betreibt und deren Bodenbearbeitungstechniken den heimischen Gärtner:innen einiges Staunen entlockt, grund verschieden ist und im Kleinen mal wieder aufzeigt: sich mit dem Anderen zu beschäftigen ist immer eine Bereicherung und kann schließlich Anstoß für Entwicklung sein.
Ein bisschen schmunzeln hat uns lassen, als man uns erzählte, dass der Bau von neuen Gemeinschaftstoiletten den Verband und seine Mitglieder immense Anstrengungen gekostet hat. Nicht nur, dass Geld an Orten wie diesen immer Mangelware ist (wir spenden dieses Jahr an diese Initiative und möchten dazu anregen und aufrufen es uns gleich zu tun oder auch andere Wege der Unterstützung zu erwägen), auch kommunikativ und prozessual gelingt eine so grundlegende Angelegenheit wie der Bau einer Toilette bei 15 unabhängigen Parteien nicht ganz stolperfrei. Da kann es helfen z.B. klare Formen der Entscheidungsfindung festzulegen und genau darauf zu schauen, welche Verfahren an welcher Stelle sinnvoll sind, um schnell ins Tun zu kommen. Hier haben wir jedenfalls einen Anker gefunden, wie wir uns auch immateriell engagieren können, um die kleine Stadtfarm in ihrem Wirken zu unterstützen. Denn eines ist klar: dieser Ort ist schön und sollte wachsen dürfen!
Apropos Entscheidungsfindung: auch wir haben natürlich während dieser Tage viel entschieden. Unser organisationales Betriebssystem Holacracy erlaubt uns regelmäßig Veränderungen an unserer Governance vorzunehmen und das nach klar definierten Regeln, die uns sicher sowohl durch kleine als auch große Veränderungen leiten. Konkret haben wir zum Beispiel an unserem Gehaltssystem gearbeitet. Vor gut einem Jahr trat eine ganz neue Form der Verteilung in Kraft, die wir nun einem Review unterzogen haben. Unsere Idee dahinter: die Organisation als Ganzes in den Fokus rücken und dennoch den Einsatz an ganz unterschiedlichen Stellen der Organisation – nach innen und nach außen – differenziert zu entlohnen. In diesem speziellen, von Corona finanziell durchaus strapazierten Jahr wurde ganz besonders deutlich, an welchen Stellen unser Modell nachjustiert werden muss. Mehrere „heiße“ Themen wurden diskutiert. Verändert haben wir das Modell aber schließlich nur an einer konkreten Stelle: die Größe des „Beitrags zum Ganzen“, ein Topf der besondere Wirkung in der Organisation entlohnt, wurde von einer absoluten auf eine prozentuale Größe umgestellt. Interessant und bemerkenswert an dieser Veränderung war für uns: hier gehen wir vorsichtig vor. Langsamkeit vor Radikalität. Sensible Themen brauchen Zeit und auch dieses Bedürfnis können wir in unserem Steuerungssystem gut abbilden.
Zu guter Letzt haben wir in einem Strategizing des Unternehmenskreises (es gibt noch einige weitere, spezifischere Kreise, die aber erst auf Basis dieses Kreises ihre Strategien formulieren) festgelegt, worauf wir in den kommenden Monaten unsere volle Kraft und Aufmerksamkeit richten möchten. Das Ergebnis hat uns selbst überrascht, ganze 10 „Even- over Regeln“ (die Form, in der wir unsere Strategien formulieren und die es uns ermöglicht situativ und purpose-orientiert zu agieren und zu entscheiden) konnten und wollten wir formulieren. Mit dabei und an prominenter Stelle ist eine klare thematische Ausrichtung auf „Agile Transformation“ und die Entwicklung von „Purpose Driven Organizations“. Aber auch unsere eigene digitale Transformation hat einen wichtigen Platz. Denn uns geht es in dieser Hinsicht nicht anders als vielen anderen Organisationen: der Schritt in wirklich konsequentes und vollumfängliches digitales Arbeiten ist respekteinflößend groß und bedeutet für die Organisation eine tiefgreifende Veränderung, die die Kraft und Anstrengung aller Beteiligten erfordert. Wir freuen uns darauf und auf ein lebendiges Beratungsjahr.
Die Autorin
Friederike Machemer ist seit 2019 Beraterin und systemische Organisationsentwicklerin bei der Beratergruppe Neuwaldegg. Sie unterstützt Organisationen dabei, den Herausforderungen rund um das Themenfeld „New Work“ zu begegnen. Ihr Hintergrund: ein Studium der Wirtschaftswissenschaften und Philosophie, mehrjährige Erfahrung als Strategieberaterin in vielfältigen Branchen und Organisationen, zusätzliche Ausbildungen in agilen Methoden und Design Thinking.
Weiterbildungstipp:
Praxis-Workshop Purpose Driven Organizations
2 x 2 Tage für Unternehmer:innen, Organisationsentwickler:innen, Strateg:innen und Manager:innen, mit dem Ziel, mehr Purpose Drive in das eigene Unternehmen zu bringen.
Buchtipp:
Moving Organizations
In wenigen Wochen (genau am 15. Oktober) erscheint das neueste Neuwaldegger Buch. Es stammt aus der Feder von Barbara Buzanich-Pöltl und Frank Boos. Es geht Ihnen darum, wie sich Organisationen krisenfest aufstellen. In Bälde mehr dazu …