Vergeben mit dem REACH-Modell
„Es gibt zwei Arten, Gutes zu tun: Geben und Vergeben.“ Das habe ich unlängst gelesen und für gut befunden😊 Wie ist das mit dem Vergeben im beruflichen Kontext, wie kann es nachhaltig funktionieren und welchen Sinn macht’s, sich selbst bzw. anderen zu vergeben? Diese Fragen beschäftigen meine Kund:innen, die im Coaching verletzende bzw. kränkende Situationen für sich aufarbeiten möchten und sich um ein aktives Vergeben bemühen.
Das REACH-Modell
Auf der Suche nach neuen Ansätzen und Methoden bin ich auf der positiven Psychologie Tour – einer Veranstaltungsreihe, die aktuelle Forschungsergebnisse, vor allem aber ihre praktische Anwendung einem breiten Publikum zugänglich macht – fündig geworden. Im Rahmen eines Kongressbeitrages habe ich das „REACH-Modell“ kennengelernt. Dabei handelt es sich um ein Konzept von Prof. Everett L. Worthington, Jr. (Virginia Commonwealth University), das „Vergebung“ kognitiv und emotional bearbeitbar macht.
Diesen Zugang fand ich spannend, ich wollte die wissenschaftlich belegte Methode nicht nur leserlich erkunden, sondern aktiv ausprobieren. Und so habe ich mich entschieden, den Prozess – in begleiteter Form – selbst durchzuarbeiten und zu erleben. Mit erstaunlichen Erkenntnissen übrigens😊
Wie mit einschneidenden Erlebnissen umgehen?
Wir alle erleben im Laufe unseres (Arbeits-)Lebens Enttäuschungen, Ärgernisse oder Verletzungen und reagieren traurig, verärgert oder mitunter beleidigt. Dieser emotionale (Leidens-)Zustand kann meiner Erfahrung nach lange andauern, sich immer wieder einstellen und das berufliche Leben belasten bzw. einschränken. Wie also mit diesen einschneidenden Erlebnissen und den daraus resultierenden Emotionen umgehen?
Im Zuge meines persönlichen Vergebungsprozesses wurde mir die Frage gestellt, wie vergebend ich auf einer Skala von 0 (überhaupt nicht) bis 10 (vollständig) eigentlich bin und mein Ergebnis hat mich nachdenklich gestimmt. Wie würden Sie die Frage für sich beantworten? Seien Sie ehrlich …
Vergebung – ein unilaterialer Prozess
Vergebung kann als unilateraler Prozess gestaltet werden und hilft, sich mit dem Erlebten professionell auseinanderzusetzen. Mein niedriger Punktewert resultierte aus der Vorstellung heraus, dass Vergeben ein bilateraler Prozess sein muss. Es geht jedoch nicht um Verzeihen oder Versöhnen, zu dem andere aktiv eingebunden werden müssen. Dies kann natürlich später erfolgen – wenn man das möchte. Durch unterschiedliche Reflexionsangebote wurde mir bewusst, wie wichtig es ist, eine Vergebende zu sein. Am Groll festzuhalten, kostet Energie, schadet nachweislich der körperlichen als auch der psychischen Gesundheit und wirkt sich negativ auf das eigene soziale Umfeld aus. Ein hilfreiches Aha habe ich durch ein Gedanken-Experiment erfahren. Haben Sie ebenfalls Lust auf ein Gedankenexperiment?
Wenn ja, lade ich Sie ein das folgende Zitat zu lesen:
„Die Geschichte, trotz ihrer qualvollen Pein, kann nicht rückgängig gemacht werden, aber wenn wir ihr mit Mut begegnen, muss sie nicht wiederholt werden.“
Maye Angelou, amerikanische Dichterin
Welches Wort ist Ihnen aufgefallen?
Wenn Sie ein einziges Wort auswählen müssten, das Ihnen im Zitat aufgefallen ist. Welches wäre es?
Für mich ist es „Mut“ – ein weiteres Aha auf meinem Weg der Selbsterkenntnis😊
Ich habe verstanden, dass es (m)eine aktive Entscheidung zur Vergebung braucht und dies Mut erfordert, da es im REACH-Modell um folgende Schritte geht:
Die 5 Schritte des REACH-Modells
R (recall the hurt): den Schmerz in Erinnerung rufen
E (empathize with your partner): Empathie empfinden, mit der Person, von der die Verletzung ausging
A (altruistic gift): Vergebung – ein altruistisches Geschenk
C (commit): sich verpflichten zu vergeben
H (hold onto forgiveness): an der eigenen Vergebung – auch bei Zweifel – festhalten
Wofür es sich zu vergeben lohnt
Im Laufe des begleitenden Arbeitsprozesses wurde mir der Sinn klar, für den es sich zu vergeben lohnt. In meinem Fall lag dieser in der positiven Gestaltung meiner (Arbeits-)Beziehungen, aus der ich wieder Energie schöpfen wollte.
Mit dieser Erkenntnis gelang es mir Schritt für Schritt das REACH-Modell zu erarbeiten - weinend und lachend bin ich mir dabei selbst begegnet, habe verschiedene Perspektiven bewusst eingenommen, mich empathisch neu (er-)gefunden und gefragt, wie viel Vergebung eigentlich genug ist. Um festzustellen, dass es – für mich – gar keine 100 % braucht!
Bereichert in die Zukunft
Was für eine schöne „begleitete“ Erfahrung, was für ein hilfreicher Prozess: Vergebung verändert nicht die Vergangenheit, aber sie bereichert die Zukunft😊
Wenn Sie Lust haben, selbst Coachingprozesse professionell zu gestalten, finden Sie hier alle relevanten Infos zu unserer zertifizierten Coachingausbildung
Über die Autorin
Elisabeth Dudak ist Co-Programmgestalterin des Neuwaldegger Coaching Campus. Equity Partnerin der Beratergruppe Neuwaldegg. Ihr Credo: „Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist“. Die Psychologin und systemische Beraterin ist eine in sich ruhende, gut zuhörende, überlegte und mitfühlende sowie ermutigende Wegbegleiterin, die Chancen für Menschen und Organisationen sicht- und nutzbar macht. Sie beschäftigt sich intensiv mit Positive Leadership und Psychological Safety und unterstützt Teilnehmer:innen bei ihrer Weiterentwicklung in einigen unserer Entwicklungsräume in Form von Potenzialanalysen und Coachings. Ihr Wissen und ihre Erfahrung gibt sie als Lehrtrainerin im Neuwaldegger Coaching Campus weiter.
Neuwaldegger Coaching Campus, ab 6. November 2024
Ein kompakter Lehrgang in 9 Modulen, in dem Sie systemisches Coaching lernen – das konkrete Handwerk genauso wie die Theorie und die Haltung. Für Führungskräfte, interne und externe Berater:innen. Bewerben Sie sich!
NEU! Zertifizierung!
Die Beratergruppe Neuwaldegg ist nun eine vom Österreichischen Dachverband für Coaching (austrian coaching council) anerkannte Ausbildungseinrichtung. Weiters sind wir eine von SystemCERT zugelassene Ausbildungsstelle zur Durchführung von Lehrgängen, die den Teilnehmer:innen eine Kompetenzzertifizierung gemäß ISO 17024 ermöglichen.
Interessante Beiträge
arrow_forward Erfolreich führen mit sytemischer Haltung
arrow_forward Warum Führungskräfte bei uns Coaching lernen
arrow_forward ikigai Coaching
arrow_forward Coaching in der Natur
arrow_forward Positive Psychologie im Coaching
arrow_forward „Ich kann so sein, wie ich bin“ als gute Basis für systemisches Coaching
arrow_forward Die Brücke des „Als ob …„
arrow_forward Rasch entscheiden mit dem System-Check
arrow_forward Tim Bendzko und die systemische Leiter
arrow_forward Coaching Hack: Schon ein Ziel oder noch eine Entscheidung?
arrow_forward Kennen Sie Reframing?
arrow_forward Arbeiten mit Online-Aufstellungen
arrow_forward Wie ich meinen Tank wieder auffülle, Teil 1 Wie sorge ich für Entlastung?
arrow_forward Wie ich meinen Tank wieder auffülle, Teil 2 Werte in Balance bringen
arrow_forward Wie ich meinen Tank wieder auflade, Teil 3 Was macht Sinn für mich?
arrow_forward Wie ich meinen Tank wieder auffülle, Teil 4 Die Energie folgt der Aufmerksamkeit
arrow_forward Wie ich meinen Tank wieder auffülle, Teil 5 Die Atemtankstelle
arrow_forward Was machen die Alumni:ae unserer Lehrgänge so? Manche gründen gemeinsam ein Unternehmen
arrow_forward CEO oder lieber selbständig als Coach
arrow_forward Was machen denn die Absolvent:innen unserer Lehrgänge? Vom Creative Director zum Coach
arrow_forward Welche Bedeutung hat Coaching in der agilen Organisation?
arrow_forward Kann man online besser coachen lernen?