Alles VUCA, oder doch nicht?
Eine Orientierung in der agilen Begriffslandschaft
VUCA ist einer meiner Un-Lieblingsbegriffe. Es klingt mysteriös und irgendwie riesengroß. Alle nicken dann bedeutungsvoll mit dem Kopf und machen große Augen. Ja, genau – jetzt ist ja VUCA! Die Welt ist Volatil, Uncertain, Complex, Ambigous.
Damit lässt sich alles erklären und alles begründen. Aber packt sich die VUCA-Katze damit nicht selbst am Schwanz. Eine Welt, die so widersprüchlich und im Wandel ist, die wird sich doch wohl nicht mit einem einzigen Akronym beschreiben lassen. Vuca reduziert die Komplexität, die es gerade noch aufgemacht hat. „Ach ja genau, ist halt VUCA.“
Also, ich verstehe: Alle Unternehmen sind jetzt hoher Komplexität ausgesetzt und müssen darauf reagieren. Alle Führungskräfte müssen jetzt „Führen in VUCA“ lernen. Ist das wirklich so?
Lassen Sie uns dieser Frage genauer nachgehen. „Alles VUCA, oder doch nicht?“
Dabei hilft es, den Begriff „Komplexität“ zu definieren. Ich verstehe Komplexität als das Zusammenspiel aus Volatilität und Unsicherheit der Umfeldbedingungen und Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Stakeholder-Erwartungen an ein System. Daraus ergibt sich diese Matrix.
Sie zeigt: Je vielfältiger die relevanten, äußeren Einflussfaktoren (Variety) und je unvorhersehbarer die Umfeldbedingungen (Volatility) sind, umso größer die Komplexität. Komplexität ist der Zustand, den ich nicht mehr berechnen, vorhersehen oder linear managen kann.
Kompliziertes kann ich noch mit viel Fleiß verstehen und entwirren. Komplexes entzieht sich dem kausal-logischen Durchdringen. Ein gutes Beispiel sind alle Zusammenhänge, die sich in Verbindung mit dem Coronavirus gezeigt haben. Weltweit versuchen Nationen und supranationale Einheiten mit unterschiedlichen Mitteln, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Manches wirkt mehr, anderes weniger. Bis heute gibt es keinen Masterplan, eben weil die globalen Zusammenhänge und sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wechselwirkungen komplex sind ( – echt VUCA könnte man sagen).
Jeder Bereich eines Unternehmens lässt sich irgendwo auf dieser Matrix ansiedeln. Wo ordnen Sie Ihren Verantwortungsbereich ein?
Links unten
Links unten ist die Komplexität gering. Das könnte in einer Massenproduktion sein, im McDonalds-Restaurant oder an der Verwertungsstraße einer Müllverbrennung. Direktive oder transaktionale Führung tut hier einen guten Dienst. In diesem Kontext gibt es Pläne, das richtige Vorgehen, hier geht es um Standardisierung und Effizienz.
Links oben
Links oben befinden wir uns in der Krise. Die Dinge sind nicht komplex, sondern chaotisch. Vielleicht strangulieren die weltweiten Lieferkettenprobleme die Produktion, vielleicht hat ein chinesisches Start-up das eigene Geschäftsmodell disruptiert, vielleicht ist kein Geld mehr da, um die Löhne zu zahlen. Führung wandert im Krisenmodus sofort nach oben in einen kleinen Kreis: top-down, klare Entscheidungen, jemand muss die Verantwortung übernehmen. Der Fokus engt sich ein auf’s Überleben.
In der Mitte
In der Mitte finden sich viele Unternehmensbereiche, z. B. der Automobil- und Mobilfunkbranche, Konsumgüterproduktion oder Versicherungen. Management ist hier nicht leicht, weil viele Anforderungen unter einen Hut gebracht werden müssen, die sich zum Teil widersprechen: günstig, aber umweltfreundlich / beste Qualität, aber kürzeste Lieferzeit. Gemanagt wird mit vielen Kennzahlen (KPIs), organisiert wird mit Matrixstrukturen und Projektarbeit, gesteuert wird mit Fokus auf Performance und Ergebnisse, geführt wird mit Zielen – mal mehr transaktional, mal mehr transformational. Manche Teams in dieser Bubble beginnen, sich agil zu organisieren.
Rechts unten
Gegenüber, rechts unten, sieht die Welt anders aus. Eine Vielfalt an Anforderungen und Erwartungen, aber der Komfort von stabilen Bedingungen. Hier sind Universitäten, Forschungsinstitute oder Schulen angesiedelt. Hier geht es um Wissen und Expertise. Es gelten übergeordnete Regeln (z. B. des Wissenschaftsbetriebs oder des Bildungsministeriums). Führung hat Status und kümmert sich um Administratives, Beförderungen, Disziplinarisches, Ressourcen.
Rechts oben
Achtung – jetzt wird’s vuca! Rechts oben ist der Bereich sehr hoher Komplexität. Alles ist laufend in Bewegung, wenig ist genau vorhersagbar und berechenbar. Die Erwartungen und Anforderungen der Stakeholder sind divers und widersprüchlich. IT- oder Tech-Unternehmen, Firmen mit digitalen Geschäftsmodellen, F&E-Abteilungen, Agenturen oder Inkubatoren brauchen ein hohes Maß an Flexibilität und Kreativität, um hier gleichzeitig stabil und beweglich zu sein. Sie müssen Chancen erkennen und nutzen können. Agile Organisation ist hier nicht als vorübergehende Managementmode entstanden, sondern aus der Notwendigkeit, eine Steuerung zu finden, die all diesen Anforderungen gewachsen ist. Klassische Hierarchie oder Matrixorganisation wäre zu starr, undifferenziert oder langsam.
Verantwortung wird hier verteilt, Teams arbeiten agil und selbstorganisiert. Hier hilft es, wenn möglichst viele unternehmerisch mitdenken und das Pouvoir haben, zu entscheiden; wenn das gemeinsame Ziel klar und energetisierend ist. Hier hilft es, iterativ und in kurzen Zyklen vorzugehen, aus Fehlern und Erfahrungen permanent zu lernen, die Struktur laufend anzupassen: Hier geht Führung in eine andere Rolle, in die sogenannte „Kontextsteuerung“. Sie kümmert sich um den Rahmen und die Ressourcen, damit die Teams gut arbeiten können.
So und jetzt finde ich, ist VUCA als Begriff schon handhabbarer geworden. Nicht alles ist vuca, sondern für manche Unternehmensbereiche mancher Branchen trifft diese Beschreibung tatsächlich zu. Hier gilt es anders zu steuern. Hier braucht es die Klarheit des übergeordneten Sinns: Was ist unser Purpose? Woran richten wir alle Entscheidungen aus? Und wie bauen wir dafür eine anpassungsfähige Struktur, die sich laufend mitverändert und die Freiraum und Autonomie ermöglicht, damit Chancen rasch ergriffen und erprobt werden können. Hier machen agile Teams Sinn.
Aber wer VUCA im Gießkannenprinzip über unsere Organisationen ausschüttet, der erklärt auch den Stadtgärtner:innen und Gymnasiallehrer:innen, dass sie jetzt in einer VUCA-Welt führen müssten.
Nein!
Wenn Sie Organisationsthemen auch gern auf den Grund gehen und sich mit Steuerungslogiken auseinandersetzen, dann werden Sie Spaß haben im Praxisworkshop Purpose Driven Organizations von Franziska Fink und Michael Moeller. Hier entwickeln die beiden gemeinsam mit Praktiker:innen verschiedenster Organisationen die konkrete Umsetzung der Purpose-Steuerung in die Unternehmen und Teams.
Und wenn Sie es noch nicht im Regal stehen haben, dann empfehlen wir Ihnen das Playbook der Autorin. Hier nimmt Sie die Leser:innen mit auf eine Reise zu den Organisationen der Zukunft, die es heute schon gibt. Wie funktioniert Steuerung von Teams und Unternehmen, die sich in solch rasch verändernden Kontexten bewegen und was kann der Purpose, der klare Sinn, für’s Unternehmen und für die Mitarbeitenden leisten. Ein erfrischendes Praxisbuch.
Das Playbook Purpose Driven Organizations ist im Schäffer-Poeschel-Verlag erschienen!
Über die Autorin
Franziska Fink ist systemische Beraterin & Coach, Purpose-Expertin, Buch-Autorin und Programmleiterin einiger Neuwaldegger Weiterbildungsformate (Purpose Driven Organizations Workshop, Coaching Campus und Virtual Architects). Ihre Spezialisierung ist das Thema Purpose in Organisationen. In ihrer langjährigen Arbeit mit internationalen Unternehmen, die sie durch Change- und Transformationsprozesse begleitet, hat sich das Thema Sinn als ein Hebel für zukunftsfähige Organisation gezeigt. Seither arbeitet und forscht sie daran, wie Purpose für die Steuerung genutzt werden kann und welchen Unterschied er langfristig für Organisation und Mitarbeitende macht.
Playbook Purpose Driven Organizations
Auf dieser Site finden Sie die wichtigsten Aspekte, Take-aways und all die herrlichen Illustrationen unseres neuen Buches von Franziska Fink und Michal Moeller. Außerdem gibt’s einen Link direkt zum Verlag, dort können Sie das Playbook gleich bestellen
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