Widerstand oder geringe Kooperationsbereitschaft?
Wir sagen oft „Wenn es keinen Widerstand gibt, dann handelt es sich um keine Veränderung!“. Insofern müssten wir uns, Beratende und Führungskräfte, über genau das freuen. „Juhuuu Widerstand! Endlich sind wir genau da wo wir hin wollen, die ersten Zeichen für Veränderung!“
Ehrlich gesagt kenne ich solche Jubelrufe von Betroffenen nicht. Die Energie ist schnell im Keller. Emotionen wie Wut, Frustration und Abwertung gegenüber Führungskräften und / oder Mitarbeitenden sind da schon eher begleitende Emotionen.
Manche Vorwürfe werden direkt an Personen adressiert: „Der oder die macht das falsch! Der meint es nicht ernst!“. Andere richten sich an das Kollektiv „Die Kolleg:innen sind inkompetent, faul und/oder Verhindernde! Warum vertrauen die uns nicht?!“ Da steckt ganz schön viel explosives Material drin, das massiven Schaden anrichten kann. Aber natürlich gilt: Überall wo potentiell Schaden angerichtet werden kann, muss es auch potentielle Möglichkeiten des Weiterkommens geben.
Wie kann ein Kontext geschaffen werden, der Widerstand einlädt und was heißt das?
Hier ein paar Gedanken zu dieser „Metafrage“ …
Gastgeber:innen für Emotionen sein
Klingt easy, ist es aber nicht. Wie geht es Ihnen, wenn Sie mit Vorwürfen konfrontiert werden, obwohl sie sich voll ins Zeug hauen? Mir tut’s meistens weh. Freiwillig dem zu begegnen, ist nicht was sich Mensch als Erstes aussucht. Brene Brown meint, wir vermeiden es sogar und tun alles Notwendige um dies nicht zu erleben.
Gleichzeitig wissen viele, das gehört irgendwie dazu. Deshalb … Wenn ich weiß, dass etwas kommt, bereite ich mich vor. Und da hilft es zum Beispiel sich mit emotionalen Prozessen auszukennen und zu wissen, was auf einen zukommen könnte. Einen großen Unterschied macht es, diese Reise miteinander zu planen und zu wissen, auf wen und was zurückgegriffen werden kann, wenn es eng wird. Schaffen Sie Prozesssicherheit, indem sie Führungskräfte, Mitarbeitende und Begleiter:innen in dieser Phase zu Räumen und Formaten einladen,
- in denen Zuhören, Unterstützung und Entlastung erfahren wird.
- in denen Betroffene und Beteiligte dem Unangenehmen begegnen können.
- In denen Perspektiven in aller Ruhe ausgetauscht werden können und Mitgestaltung möglich wird.
Ist es Widerstand oder geht es um geringere Kooperationsbereitschaft?
Das ist wohl eine Frage der Perspektive und / oder auch der Haltung. Ich persönlich mag beide Sichtweisen. Widerstand per se hat Kraft: Sich verweigern, stehen, gegen etwas sein. Das nehme ich ernst. Es gibt gute Gründe, weshalb sich solch eine Energie zeigt und nicht selten ist diese auch berechtigt. Und wer will schon eine gleich geschaltete Belegschaft, die zu allem „Ja und Amen“ sagt? Hier geht es auch um die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden, die sich in solchen Momenten zeigt, eingebracht wird und die genutzt werden darf.
Wenn es konkreter wird und Interventionen geplant werden, hilft es mir mehr, von geringerer Kooperationsbereitschaft in dieser Veränderung auszugehen. Dadurch stelle ich andere Fragen: Wie sieht Kooperationsbereitschaft normalerweise aus? Was hindert gerade? Was muss passieren und beachtet werden, damit diese höher wird?
Im persönlichen Kontakt ist es auch anders: Wenn ich davon ausgehe, dass gegen mein Anliegen gearbeitet wird, agiere ich anders, als wenn ich davon ausgehe, mein Gegenüber hat gerade eine geringere Kooperationsbereitschaft als sonst – da ist gleich eine Prise Hoffnung drin!
Schwierige Gespräche führen können
Emotionen führen oft auch zu Konflikten und die sind unangenehm. Gerade Führungskräfte auf allen Ebenen sind davon besonders betroffen und immer wieder in fordernden Gesprächen. Da sollen Führungskräfte oft funktionieren, sind jedoch meistens genauso betroffen und noch mehr gestresst wie Mitarbeitende. Die Aufgabe lautet: mit diesen Unsicherheiten und Unplanbarkeiten umgehen können und in Gesprächen Klarheit zu schaffen, ohne dabei das Gegenüber zu verlieren.
Das erleben wir nicht nur in solchen Phasen als sehr herausfordernd. Das bedeutet im Konkreten: zuerst den Spot auf sich selbst zu richten – Was sind meine eigenen „Triggerpunkte“? In welchen Momenten steige ich selbst aus und bin nicht mehr bei meinem Gegenüber? Was brauche ich selbst in emotionalen Situationen? Was kann ich noch dazulernen?
Besteht mehr Klarheit dazu, steigt die Chance in Kontakt gehen zu können. Wir nutzen für solche Prozesse den Ansatz von „Clear Leadership“ nach Gervase Bushe. Dabei geht es vor allem darum, unterschiedliche Erfahrungen zu vertiefen, nebeneinander stehen lassen zu können und gemeinsam nächste mögliche neue Schritte zu finden.
Quelle: Erfahrungswürfel aus Clear Leadership von Gervase Bushe (2009)
Der Erfahrungswürfel von Gervase Bushe (kanadischer Gruppendynamik-Experte und Universitätsprofessor) ist ein Modell, um menschliche Wahrnehmung besser zu verstehen. Es unterscheidet vier Aspekte:
- Beobachtungen: Das was »objektiv« auch ein Alien beobachten und beschreiben würde.
- Gedanken: Dies sind die Interpretationen und Stories, die ich mir dazu mache.
- Gefühle: Das, was diese Beobachtung und meine Interpretation bei mir an Gefühlen auslöst.
- Wollen: Das, was ich aus dem heraus brauche, um weiterdenken oder -gehen zu können.
Lebenslanges Lernen, kein Ankommen & Gehen
Wenn wir in diese Themen eintauchen, sage ich oft: „Und übrigens … das ist lebenslanges Lernen. Da gibt es kein Ankommen, sondern nur ein Gehen … und gleichzeitig kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Es ist es wert! Warum? In solchen Momenten erfährt man, was mehr persönliche Freiheit und miteinander Wachsen heißt.“ Und das empfinde ich persönlich als eines der schönsten Geschenke. Immer wieder.
Über die Autorin
Barbara Buzanich-Pöltl ist Beraterin und Equity Partnerin bei Neuwaldegg. Sie ist Programmleiterin von Agile Leadership Campus, Agiler Freiraum und Gender Equality Lab sowie Co-Programmleiterin des Change Campus. Außerdem ist sie Keynote-Speakerin. Neben ihrem Herzensthema Gender Equality bewegen sie vor allem die Themen Agile Organisation und Agile Transformation. Dazu hat sie auch mit Frank Boos das Buch „Moving Organizations“ geschrieben.
Weiterbildungstipps
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