Wie wir jetzt arbeiten …
Mit Beginn den Corona-bedingten Auflagen in Österreich hat sich der digitale Anteil unseres Beratungsgeschäfts schlagartig auf 100% erhöht. Von einem Tag auf den anderen gab es deshalb eine ganze Bandbreite an neuen Rahmenbedingungen für unsere Arbeit. Manche Workshops und Kundentermine wurden abgesagt, andere optimistisch verschoben. Wieder andere, wie z.B. Einzel-Coachings wurden auf’s Telefon verlagert und nicht zuletzt gibt es seit Tag 1 bei uns auch ganze Beratungsworkshops und Führungskräftetrainings online. Tag 1 ist deshalb relevant und ein zeitlicher Marker über den wir gern berichten, weil bisher ein Großteil unserer Arbeit von physischer Präsenz geprägt war. Darin sind wir Profis, wir halten Räume, Prozesse und Spannungen, greifen Dynamiken auf und setzen Interventionen – oft mit vielen Menschen in einem Raum und vielen weiteren, die im Prozess beteiligt sind. Wie gelingt es, dieses Spektrum auch digital zu nutzen? Wie können unsere Kund:innen Wirkungen erfahren, die den analogen Wirkungen in nichts nachstehen?
Learning 1: Die Antwort liegt nicht in einem bestimmten Tool.
Auch sind wir als Berater:innen so oder so in verschiedensten Kundensystemen unterwegs, mit je eigenen Plattformen und Systemen, die wir selbstverständlich nutzen, um unsere Formate einzusetzen. Eine gewisse Anpassungsfähigkeit bringen wir alle mit und sie half uns auch in dieser Situation schnell (wieder) handlungsfähig zu sein und eine neue Klaviatur zu spielen. Ein Startvorteil für Tag 1 war unser geübter Umgang mit MS-Teams, das wir intern in voller Ausprägung nutzen und das auch in vielen Kundenorganisationen im Einsatz ist. MS-Teams erleichtert mit Videocalls und transparenten Kommunikationskanälen die digitale Kollaboration.
Learning 2: Die technischen Hürden für alle möglichst gering halten!
Ein Beispiel: Am Freitag vor dem „Shut down“ stand eine Entscheidung an, nämlich dass das Führungskräftetraining in einem großen deutschen Konzern am darauf folgenden Montag entweder ausfallen müsse, oder eben digital stattfinden würde. Die Auftraggeberin und wir entschieden uns für „digital“. Nach einigen Tests und DSGVO-Konformitätsprüfungen war klar, dass wir dies auf Basis einer Kombination von MS-Teams und WebEx tun wollten.
Das gesamte Wochenende planten wir um:
- Wie viel Zeit braucht ein Thema online im Vergleich zu offline?
- Wie lange schafft man die Aufmerksamkeitsspanne zu halten, so dass es fordert aber nicht anstrengt?
- Wie können wir das soziale Element der Kaffeepause oder des „Walk & Talk“ Spaziergangs übersetzen?
- Und wie gelingt es Tiefe in Gruppenarbeiten zu bringen?
- Wie finden sich überhaupt Gruppen, die maximal durchmischt sind, wenn man nicht zu 100 % sicher ist, wer wirklich teilnehmen wird, wer sich kennt und wer noch nicht?
Learning 3: Fokus auf Wirkung – ein analoges Format muss „übersetzt“ werden!
Es macht Sinn, von der gewünschten Wirkung aus zu denken statt 1:1 abzubilden, was physisch geplant war (hier unterscheidet sich die Herangehensweise kaum vom Planen eines analogen Workshops) und dabei durchaus Mut für kreative Impulse zu beweisen. Unser Führungskräftetraining haben wir z.B. auf 1,5 statt der geplanten 3 Tage gekürzt. Eine Kollegin hat die Notizseiten ihrer Paper-App im Screen geteilt, statt durchgängig eine schnöde PowerPoint-Präsentation zu zeigen und konnte so live mitzeichnen und schreiben, was in der Gruppendiskussion entstand. Breakout-Sessions haben wir nicht wie üblich mit Stippvisiten begleitet, sondern in die volle Verantwortung der Teilnehmer:innen gegeben. Und daraus ergibt sich …
Learning 4: Traue Deinen Teilnehmer:innen alles zu!
Bei präzisen Angaben in Sachen Aufgabenstellung, Timing und technischem Ablauf ist es nämlich überhaupt kein Problem digitale Breakout-Sessions zu gestalten, die nicht mehr der eigenen Kontrolle unterliegen (MS-Teams bietet diese Funktion noch nicht, erlaubt aber Parallelgespräche).
Auch in Beratungsprozessen arbeiten wir gerade vollkommen digital. Von kleinen Teambesprechungen bis großen Präsentationrunden im Rahmen eines Reviews – dem Dreh- und Angelpunkt eines konkreten agilen Transformationsprozesses den wir derzeit begleiten – erleben wir viel Dankbarkeit für die Initiativen die wir einbringen und Freude über die (Format-)Überraschungen, die wir uns für jedes Meeting ausdenken das wir moderieren. Alte Bekannte wie Timekeeping und zusammenfassende Formulierungen gehören natürlich auch hier zum Handwerkszeug – die begleitende Kommunikation über einen parallelen Chat kommt dazu.
Learning 5: Wir alle lernen.
So wie unsere Kund:innen lernen auch wir jeden Tag dazu was funktioniert und was auch nicht. Eine Deckenkamera im Video-Conferencing-Raum der Kund:innen, die ein Team von oben filmt, ist z.B. keine gute Idee – jeder einzeln vor seinem Rechner hingegen schon, dann können wir und alle anderen auch die Mimik lesen und uns insgesamt besser verstehen.
Gerade jetzt erleben wir es als sehr wertvoll und auch wertschätzend, dass unsere Kund:innen uns das Lernen ebenso zugestehen wie sich selbst – wir arbeiten gemeinsam an den besten Lösungen, sitzen im selben Boot und ziehen an einem Strang (es gibt viele schöne Bilder 😉) und das ist eine der positiven Überraschungen, die dieser massive Umbruch mit sich bringt: Wirklich partnerschaftliches Arbeiten zwischen Berater:in und Kund:in gelingt besser denn je!
Die Autorin Friederike Machemer
ist seit 2019 Beraterin und systemische Organisationsentwicklerin bei der Beratergruppe Neuwaldegg. Sie unterstützt Organisationen dabei, den Herausforderungen rund um das Themenfeld „New Work“ zu begegnen. Ihr Hintergrund: ein Studium der Wirtschaftswissenschaften und Philosophie, mehrjährige Erfahrung als Strategieberaterin in vielfältigen Branchen und Organisationen, zusätzliche Ausbildungen in agilen Methoden und Design Thinking.