Guten Abschied gibt es selten
Als Berater haben wir selten Beziehungen zu Kunden die Jahrzehnte dauern. Fronius, ein Familienunternehmen in Oberösterreich, ist da eine Ausnahme. Mit Fronius habe ich intensive zwanzig Jahre zusammengearbeitet, eine Zeit, die von hoher Wertschätzung und vielen Herausforderungen geprägt war. Wir haben an der Generationenübergabe innerhalb der Eigentümerfamilien, dem Organisationsaufbau, der Struktur und Zusammenarbeit in der Geschäftsführung und an fast jedem übergreifenden Thema, das aufgetaucht ist, gearbeitet. Spannungen in unserer Zusammenarbeit konnten wir immer gut besprechen. Ich bin immer gerne zu ihnen gefahren. Längst ist die neue Generation am Werk und so haben wir letztes Jahr beschlossen die Zusammenarbeit zu beenden. Nun galt es den Abschied zu gestalten. Doch wie macht man das? Wenn man sich umschaut, gibt es kaum Anhaltspunkte.
Wenn langgediente Mitarbeiter:innen in Pension gehen, oder die Organisation verlassen gibt es üblicherweise eine Abschiedsfeier. Beziehungen gehen zu Ende, treten in eine neue Phase, und dies wird sichtbar und erlebbar gemacht. Nicht so in der Beratung. Selbst nach langer, oft intensiver Zusammenarbeit, beobachten wir, wie Kunde und Berater:in (auch wir) sich über diesen Moment hinweg schummeln und so tun, als ob es irgendwann ein Wiedersehen gäbe. Trennung, das Ende, der Abschied ist selten Thema, das erlebt und gespürt wird. Vielleicht weil mit Abschied vor allem Trauriges, Trennung, Tränen und Verlust verbunden wird, und wer will das schon zeigen oder ansprechen?
Gerade in Beratungsprozessen, die per se mit Veränderungen zu tun haben, fällt auf, wie selten Abschiede gefeiert werden. Eigentlich sollten Changemanager:innen Abschiedsspezialisten sein, denn wie soll ein Neubeginn gelingen, wenn das Alte noch nicht abgeschlossen ist? Doch die Change-Literatur und Praxis ist voller Anfänge, Aufbrüche, der Erneuerung, dem Re-Design und Re-Inventing. Große Leere herrscht am anderen Ende der Transformationskurve. Schon Abschlussbesprechungen - Projekt Close Down/Reflexion - finden sehr selten statt, und noch seltener der Schritt danach, der Abschied. Neue Projekte haben längst begonnen, die Zeit ist knapp, das Budget ausgeschöpft, wer will schon als Abschiedsspezialist in Erinnerung bleiben? Die Liste der Gründe, die einen spürbaren Abschied verhindern, ist lang.
Bewusster Abschied ist eine Intervention, die Mut abverlangt. Er ist eine Trennung, von der man selbst betroffen ist, und dessen Ausgang ungewiss ist. Umso wichtiger ist es, dass diese Intervention gut gelingt. Damit ein Abschied gut ist, braucht er dreierlei:
- 1. die Entscheidung abzuschließen,
- 2. Wertschätzung für das Geleistete
- und 3. Platz für Wehmut und Trauer, dass ein Abschnitt des Lebens zu Ende geht.
Mit diesen drei Zutaten wird ein Abschied, ein Abschluss, der gerne in Erinnerung bleibt, und somit dem Neuen als Nährboden dient, damit es sich entwickeln kann.
Als mir diese Prinzipien klar wurden, galt es sie umzusetzen. Nach einigen Gesprächen war klar, was ich machen wollte. Dann wurde Fronius – die Familienmitglieder und Stifter, mit denen ich all die Jahre zusammengearbeitet hatte – nach Wien gebeten, ohne zu verraten, was ich vorhatte. Der Abschied sollte nicht nur ein Rückblick, sondern – wie oft in dieser Zusammenarbeit – ein Schritt in neues Gelände sein. Also sind wir acht Stunden durch Wien und in fremde Welten gegangen, um dort immer wieder den Bezug zu uns und unserer Zusammenarbeit herzustellen. Wir wurden durch die Ausstellung „Mahlzeit“ (über Essen, Kunst und die Verschwendung) geführt, haben gemeinsam ein großes Bild in einem Atelier gemalt und hatten eine Führung mit Martin Sindelar ins Innere und die Höhen des Stephansdomes. Dank meiner Partner:innen gab es immer wieder freudige Überraschungen, und es wurde ein Abschluss, an den ich gerne zurückdenke. Schade, dass ich diese Erfahrung nicht schon früher bei anderen Kunden gemacht habe. Mit Fronius konnte ich so Abschied nehmen und einen Bogen schließen, der sich interessanterweise offen anfühlt.
Über Frank Boos
In seiner mittlerweile 40-jährigen Karriere bei der Beratergruppe Neuwaldegg hat Frank Boos viele Unternehmen im In- und Ausland (von Buenos Aires bis Singapur) beraten. Frank ist auch Autor mehrerer Fachbücher, zuletzt von „Moving Organizations – Wie Sie sich durch agile Transformation krisensicher aufstellen“ (gemeinsam mit Barbara Buzanich-Pöltl). Aktuell widmet er sich dem Berater:innen-Nachwuchs und der Weiterbildung im Neuwaldegger Curriculum. Dieses State-of-the-art-Programm für systemische Organisationsentwicklung wird von ihm ständig weiterentwickelt und ist alle Jahre erfreulicherweise ausgebucht.
Neuwaldegger Curriculum
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