Circular beats linear
2015, im selben Jahr wie das Paris Klimaschutzabkommen geschlossen wurde, erließ die EU den Green Deal. Teil davon ist der Aktionsplan Kreislaufwirtschaft mit dem Ziel, grünes Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit der rohstoffarmen EU langfristig sicherzustellen. Im Aktionsplan sind unter anderem nachhaltige Produkte als Norm und ein Recht auf Reparatur verankert. Tatsächlich trägt die Energiewende nur zu 55 % zum Erreichen des 1,5° Ziels bei. Die restlichen 45 % sind der notwendige Beitrag durch die Produkte, die wir herstellen und nutzen. Energiesparen und das Erstellen einer Treibhausgasbilanz reichen für Firmen daher nicht aus, um sich „grün“ zu fühlen. Es benötigt vielmehr einen substanziellen Wandel im Kerngeschäft: eine Kreislaufwirtschaft.
Eine Kreislaufwirtschaft ist ein Wirtschaftssystem, das durch innovatives Produktdesign sowie bewusste Service- und Geschäftsmodellgestaltung Produkte, Materialien oder auf kleinster Ebene Moleküle in Kreisläufen führt, um die Produktivität der Materialien zu erhöhen. Anders gesagt, eine Kreislaufwirtschaft ist ein Wirtschaftssystem, in dem es keinen Abfall mehr gibt, sondern ausschließlich Nährstoffe für weitere Produktion. Dazu wird unterschieden in biologische und technische Kreisläufe. Produkte und Materialien, die sich während ihrer Verwendung verschleißen, wie zum Beispiel Reinigungsmittel oder Autoreifen, sollten biologisch abbaubar gestaltet werden. Materialien und Produkte, die sich während der Verwendung nicht verbrauchen, sollten so lange wie möglich genutzt werden. Das heißt, sie sollten leicht zu reparieren und technisch upgrade-bar sein. Grundsätzlich müssen in einer Kreislaufwirtschaft alle Materialien chemisch unbedenklich sein, da sich giftige Substanzen in geschlossenen Kreisläufen anreichern bzw. in die Natur gelangen können. So ließen sich Schlagzeilen wie „Giftige Substanzen aus Reifenabrieb in Salat“ (ORF vom 4.1.23: https://science.orf.at/stories/3216929/) vermeiden.
Verschiedene Optionen der Kreislaufführung ermöglichen Firmen ein breites Spektrum strategischer Entscheidungen und Ertragsmöglichkeiten. Schließt man die Materialkreisläufe selbst, wie Wolford oder Bauwerk Parkett, oder entscheidet man sich für eine offene Kreislaufführung wie die Firma Werner & Mertz mit ihrer Marke Frosch, die auf das öffentliche Sammelsystem setzt. Im technischen Bereich zeigt beispielsweise Rosenbauer, wie man die Lebensdauer von Feuerwehrautos durch Remanufactoring und technische Up-grades verlängert. Insbesondere die Lebenszyklus verlängernden Aktivitäten wie Reparaturen, Refurbishment oder Remanufactoring schaffen Arbeitsplätze vor Ort.
Bereits in den ausgehenden 1960er-Jahren war es Wissenschaftler:innen klar, dass man auf einem endlichen Planeten nicht von unendlicher Ressourcenverfügbarkeit ausgehen kann. Die ersten Konzepte einer modernen Kreislaufwirtschaft gehen zurück in die frühen 1980er-Jahre mit den Werken von Walter Stahel. Der nationale Circularity Gap Report bescheinigt Österreich eine Zirkularitätsquote von mageren 9,71. Wenn eine Kreislaufwirtschaft Vorteile wie Innovationspotenzial, eine Erhöhung des Servicegrades und die langfristige Sicherung von Wertstoffen bedeutet, warum sind wir noch nicht weiter mit der Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft?
Barrieren
Eine Vielzahl unterschiedlicher Barrieren steht der Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft im Weg. Diese kann man in Barrieren auf individueller, Unternehmens-, Wertschöpfungsketten- und institutioneller Ebene unterteilen. So steht einer Umsetzung fehlendes Wissen zu zirkulärem Produktdesign einzelner, aber auch gesamter Organisationen im Wege. Beispielsweise sind derzeitige Produkte in der Regel nicht für mehrere Lebenszyklen geeignet, weil sie nicht demontiert, repariert oder wiederaufbereitet werden können. Zudem können gewisse normative Verhaltensweisen, wie „Nachhaltigkeit kostet nur Geld“, eine Kreislaufwirtschaft verhindern. Auch die heute vorherrschenden Erfolgskennzahlen unterstützen die Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft generell nicht. Für erfolgreiche Kreislaufwirtschaftsinnovationen müssen oftmals Abteilungen zusammenarbeiten, die dies in der Vergangenheit nicht getan haben, daher behindert Silodenken deren Umsetzung. Oftmals sind auch substanzielle Anfangsinvestitionen notwendig, weil mit der bestehenden Produktionsinfrastruktur nicht gearbeitet werden kann oder Leasing-Geschäftsmodelle vorfinanziert werden müssen. Für diese Neuerungen brauchen Manager:innen Mut.
Auf Ebene der Wertschöpfungskette treffen die verschiedensten Unternehmensinteressen aufeinander. Ein Reparaturgeschäftsmodell eines OEMs (Original Equipment Manufacturer) kollidiert möglicherweise mit den Interessen seiner Lieferant:innen oder seiner Vertriebspartner:innen.
Notwendig für die Umsetzung von Kreislaufwirtschaftsinnovationen ist eine Kooperation über mehrere Wertschöpfungsebenen. Diese ist sowohl technisch wie menschlich komplex, weil alle involvierten Firmen ihr Produktportfolio oder Ihre Produktion umstellen müssen. Langfristige Verträge mit Lieferant:innen, die kein Interesse daran haben, ihr Vorprodukt umzustellen, oder wenn ihnen Kompetenzen für eine Umstellung fehlen, können weitere schwerwiegende Hemmnisse sein. Wie alle Innovationen bringen auch Kreislaufwirtschaftsinnovationen eine gewisse Marktunsicherheit mit sich. Wie reagieren die Kund:innen auf das neue Produktdesign? Nehmen sie neue Geschäftsmodelle wie Leasing an? Bringen die Kund:innen die Produkte nach der Nutzung zurück?
Aber auch eine unangemessene Besteuerung auf die Nutzung von Rohstoffen und Arbeitskräften oder fehlende Subventionen bzw. andere Anreize behindern die Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft von institutioneller Ebene aus.
Dies ist nur ein kleiner Auszug aus den wichtigsten Kreislaufwirtschaftsbarrieren. Die Wissenschaft hat eine Vielzahl an Barrieren, welche die Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft behindern können, herausgearbeitet. Diese im Bewusstsein zu haben, erleichtert es Manager:innen diese Hindernisse im eigenen Unternehmen leichter aus dem Weg zu räumen. Prof. Erik Hansen und ich haben in einer Studie eine Vielzahl von Barrieren zusammengefasst und zeigen, wie Werner & Mertz diese Barrieren erfolgreich überwunden hat2. Neben Werner & Mertz haben schon viele weitere Unternehmen, zum Beispiel Gugler*Drucksinn oder Wolford, Mut und Wege gefunden, mit diesen Barrieren umzugehen und erfolgreich eine Kreislaufwirtschaft umzusetzen.
Wenn Sie genauer wissen wollen, was Kreislaufwirtschaft bedeutet, welche Kreislaufwirtschaftsstrategien Sie in Ihrem Unternehmen umsetzen und auf welche Barrieren Sie stoßen könnten, dann wird Sie das Neuwaldegger Kaleidoskop mit Dr. Julia Schmitt am 27. Februar 2023, abends im Hotel magdas interessieren. Darin wird sie Einblicke in ihre Forschung zu Kreislaufwirtschaftsinnovation geben, deren Hemmnisse in Unternehmen und wie Pionier:innen damit umgegangen sind, aufzeigen.
[1] Circle Economy, ARA (2019): Circularity Gap Report Austria: https://www.circularity-gap.world/cgr-austria
[2] Hansen, Schmitt (2020): Orchestrating cradle-to-cradle innovation across the value chain: Overcoming barriers through innovation communities, collaboration mechanisms, and intermediation, in: Journal of Industrial Ecology. https://doi.org/10.1111/jiec.13081
Über Dr. Julia Schmitt
Julia Schmitt hat Nachhaltigkeit schon immer umgetrieben. Ökologisch und sozial nachhaltige Produkte und Prozesse gestalten, das Erkennen und Überwinden von Hürden in Organisationen, die dem im Wege stehen – das sind Themen, mit denen sie sich seit vielen Jahren befasst.
Julia Schmitt ist stellvertretende Leiterin des Institute for Integrated Quality Design (IQD) an der Johannes Kepler Universität Linz. Weiters gestaltet und begleitet sie Veränderungs- und Transformationsprozesse in den Bereichen Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit, hält Trainings zu Kreislaufwirtschaft, kreislauffähiges Produktdesign, Geschäftsmodelle für eine Kreislaufwirtschaft und sie designt und begleitet Innovations- und Organisationsentwicklungsprojekte. Ihr Doktorat hat sie Innovationsprozessen für eine Kreislaufwirtschaft gewidmet, nach einem Masterstudium der internationalen Betriebswirtschaftslehre an der FAU Nürnberg-Erlangen und einem Bachelorstudium der Kulturwirtschaft (Uni Passau). Seit 7 Jahren forscht sie zur Umsetzung von Kreislaufwirtschaft in Unternehmen und hat darüber hinaus Erfahrung im Umwelt-, Qualitäts-, Produkt- und internationalem Projekt-Management. Außerdem, und das freut uns sehr, ist sie seit einigen Monaten Neuwaldegger Netzwerkpartnerin 😊.
Event-Tipp: Kaleidoskop „Circular beats linear economy“, 27.2.2023
45 % der weltweiten CO2-Emissionen sind auf die Produktion von Waren zurückzuführen. Deshalb braucht es dort eine große Veränderung und Circular Economy kann diese Veränderung sein. Doch wie können Unternehmen eine Kreislaufwirtschaft umsetzen – die Vision einer Welt ohne Abfall, in der gesunde Materialien immer wieder zu neuen Produkten werden und Unternehmen mit Dienstleistungen gutes Geld verdienen können, ohne die Materialien aus denen ihre Produkte sind, verkaufen zu müssen. Wie das geht und wie wir uns damit eine lebens- und überlebensfähige Zukunft sichern können, möchten wir an diesem Abend gemeinsam mit der Kreislaufwirtschaftsexpertin Julia Schmitt erforschen.