Learnings aus dem Lockdown und aktuelle Stoßrichtungen
Die COVID-Pandemie beschäftigt uns nach wie vor: Gerade jetzt, wo die Fallzahlen wieder steigen, wollen wir genauer auf die gewonnenen Erkenntnisse aus der Phase des Lockdowns schauen. Basis ist eine Umfrage, die wir im Mai 2020 durchgeführt haben. Ziel der Umfrage war es, Auswirkungen des virtuellen Arbeitens auf Organisations-, Team- und individueller Ebene genauer zu erforschen. Insgesamt nahmen 123 Personen an der Befragung teil, 34 % davon sind in der Geschäftsführung und 36 % als Führungskraft tätig. Weitere 16 % Personen arbeiten in Teams, 11 % sind interne oder externe Berater:innen. An der Befragung nahmen 41 % Frauen und 59 % Männer teil. Die Größe der Unternehmen umfasst eine Brandbreite von <10 Personen bis zu > 10.000 Personen.
Die gesamte Studie können Sie am Ende des Blogbeitrags downloaden!
Entdeckte individuelle Stärken in der Phase des Lockdowns
Wichtige persönliche Stärken waren Anpassungsfähigkeit (46 % aller Befragten), Priorisierung und Fokussierung (45 %) und Gelassenheit (31 %). Auf der Ebene der Organisation wurden als Stärken: digitale Tools (58 % aller Befragten), gute virtuelle Zusammenarbeit (53 %), Selbstorganisierte Teams (43 %) und Improvisationsfähigkeit (43 %) genannt. In den offenen Kommentaren wurde der reibungslose Umstieg aufs Homeoffice, die gute Zusammenarbeit im Team und die agilere Vorgehensweise „interne Innovationen wurden mehr oder weniger einfach ungetestet, einfach rausgehauen – und siehe da: Es hat funktioniert“ herausgestrichen. Auch eng getaktete Abstimmungen und ein Daily Stand-Up wurden als Erfolgsfaktoren bezeichnet. Die virtuelle Zusammenarbeit ist aus ihrem Nischen-Dasein herausgetreten und hat sich bewährt.
Die Schattenseite in dieser Zeit: Überforderung
Die gefühlte Überforderung durch „endlose virtuelle Meeting-Tage“ und auch durch das Überlappen der verschiedenen Welten wurde als hoch wahrgenommen. Ein „Home-Everything“ (Home-Working, Home-Schooling, Home-Cooking) ohne realen Abstand zwischen Arbeits- und persönlichem Lebensraum führte zu Überlastung. Dieses Überlappungsphänomen gut zu trennen, erfordert eine klare Unterscheidung zwischen den Welten. Die genannten Stärken Fokussierung und Priorisierung werden daher weiterhin an Wichtigkeit gewinnen.
Die positiven Effekte
Auch mit positiven Überraschungen konnte diese Zeit aufwarten. Besonders überrascht haben hier die Flexibilität und Adaptionsfähigkeit als Team und die Möglichkeit der virtuellen Zusammenarbeit. Dass virtuelles Arbeiten so gut funktioniert und Führungskräfte sogar eine Leistungssteigerung verzeichnen konnten, hätten noch im Februar dieses Jahres die wenigsten vermutet.
Den Führungskräften selbst wurde in dieser Zeit des Lockdowns ein durchwegs gutes Zeugnis ausgestellt, von ihnen selbst, genauso von der Ebene der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Durch die Führung gab es Klarheit und Orientierung bzgl. des Umgangs mit COVID-19 (68 % aller Befragten), sie wurde als präsent und verfügbar erlebt (56 %) und es gab aktive und regelmäßige Kommunikation (61 %). Weniger Unterstützung gab es bei der Frage zur Bewältigung der Work-Life Balance (40 %), auch das Kümmern um persönliche Belange (44 %) und der ausreichende Raum für Zwischenmenschliches (42%) wurden als „weniger vorhanden“ bewertet.
Die Führungskräfte selbst waren zufrieden mit ihrer Führungsgestaltung. Sie haben sich als präsent und verfügbar erlebt (70 %), gaben aktive, regelmäßige Kommunikation (70 %) und konnten Klarheit und Orientierung im Umgang mit COVID-19 vermitteln (66 %). Was teilweise gefehlt hatte, war der Raum für Zwischenmenschliches (49 %).
Und in Zukunft? Steht die digitale Transformation vor der Türe?
Wenig überraschend war die Rückmeldung, was es in Zukunft vermehrt geben soll: „effizientes virtuelles Arbeiten meistern“ (64 %), „neue Formen von Führung etablieren“ (56 %) und „Selbstorganisation“ (52 %) waren hier die Top 3-Nennungen. Doch reicht das schon für die digitale Transformation? Unsere Hypothese dazu: Was wir erleben ist keine digitale Transformation an sich, was aber zugenommen hat, ist die Akzeptanz für digitale Lösungen und Kommunikationsmedien. Durch die entstandenen Möglichkeiten wird sich auch der soziale Aspekt von Kommunikation verändern.
Wie können die gewonnenen Erkenntnisse gut genutzt werden?
Unsere Stoßrichtungen:
1. Die Mischung macht den Unterschied
Auch in Zukunft wird es auf eine gute Mischung aus Arbeiten in Präsenz und in virtueller Form ankommen. Und wenn das nicht möglich ist? Dann braucht gerade der informelle, zwischenmenschliche Raum besondere Aufmerksamkeit. Gespräche, die sonst beiläufig am Gang oder in der Kaffeeküche stattgefunden haben, müssen in der virtuellen Welt jetzt explizit organisiert werden, was sich zu Beginn erstmal komisch anfühlt (z.B. Virtual Coffee, Feierabendbier, 20 min. gemeinsame Sportsession etc.).
Um den sozialen Aspekt in der Teamarbeit ausreichend zu berücksichtigen, ist es wichtig (soweit möglich) sich immer wieder auch in der realen Welt zu treffen. Hier ist Kreativität gefragt: „Walk and Talk“ im Park, eine gemeinsame Wanderung oder ein Workshop im großen Saal mit Abstand und Mund-Nasen-Schutz. Aber auch in virtuellen Formaten lässt sich ein sogenannter „Tribe Space“ gut umsetzen. Der Fokus liegt dabei nicht auf dem gemeinsamen Projekt oder den Umsatzzahlen, sondern auf der sozialen Seite der Zusammenarbeit, also ganz auf dem Team. Fragen wie „Wie ist deine persönliche Wetterlage?“ oder „Wie erlebst du gerade die Zusammenarbeit im Team?“ gilt es hier gemeinsam zu beantworten. Die Annahme, dass eine ausschließlich virtuelle Kommunikation zu mehr Distanz-Empfinden im Team führt, wird durch unsere Befragung nicht bestätigt, eher im Gegenteil:. Auf der Skala von 1 (viel distanzierter als vorher) bis 10 (als Team deutlich nähergekommen) lag der Durchschnitt bei 5,8.
2. Glaubenssätze hinterfragen
Noch vor einem Jahr hätten die meisten nicht geglaubt, dass Homeoffice so gut funktioniert. Diesen Annahmen oder Glaubenssätzen, die im Unternehmen vorherrschen, auf den Grund zu gehen und sie, wenn nötig, zu verändern, kann ein weiterer wichtiger Hebel sein. Was sind die Annahmen in unserer Organisation, wie gute Zusammenarbeit aussieht? Braucht es dazu Präsenz vor Ort oder ist es auch virtuell möglich? Was bedeutet erfolgreich zu sein in unserer Organisation – zählen die verbrachte Zeit im Büro oder die erbrachten Ergebnisse als Indikator? Welche Annahmen haben wir über gute Führung?
3. Führung im Fokus
Auch für Führungskräfte bleibt es weiter herausfordernd. Jetzt ist die Zeit, die aktuelle Führungssituation und den eigenen Führungsstil zu evaluieren und Klarheit darüber zu gewinnen, welche Form von Führung für die Organisation jetzt wirksam ist. Das Thema virtuelle Führung bleibt vor dem Hintergrund aktuell steigender Fallzahlen auch in der nächsten Zeit wichtig. Zentrale Fragen sind, wie man die Beziehung zum Team und zu einzelnen Teammitgliedern in der virtuellen Welt aufrechterhält und wie die Arbeitsleistung und Motivation im Team über eine längere Phase ohne physischen Kontakt beibehalten werden kann. Die Herausforderung für die Führungskräfte ist dabei weniger die Steuerung über Ziele, viel mehr trotz Distanz Zugehörigkeit im Team und zur Organisation aufrecht erhalten zu können.
4. Steuerungslogik überdenken, mit Purpose navigieren
Wie steuert man eine Organisation durch volatile Zeiten? Was gibt dabei Stabilität? Organisationen, die sich an ihrem Purpose ausgerichtet haben, sind krisenfester. Purpose wird bei agilem Vorgehen zum stabilisierenden Element und erleichtert es gute Entscheidungen im Sinne der Organisation zu treffen.
Um die Reintegration – also die Integration der gemachten Erfahrungen – gut zu gestalten und für die Zukunft zu nutzen, ist jetzt der richtige Zeitpunkt. Geht es doch nicht mehr nur um einen Sprint durch eine Ausnahmesituation von ein paar Wochen, sondern vielmehr um eine langfristige Anpassung an eine höhere Komplexität – eben mehr wie das Training für einen Triathlon.
Kontaktieren Sie uns gerne bei Fragen und auch sonst!
Die Ergebnisse der Studie zum Download
Autorin & Autor
Nicole Lauchart-Schmidl, die sich intensiv auseinander gesetzt hat, wie die Überlappung der Welten von beruflich und privat gut gestaltet werden kann und wie das Gefühl von Zugehörigkeit auch in der virtuellen Welt entstehen kann.
David Max Jeggle, der bei der Auswertung der Befragung überrascht war, dass Teams sich in der Phase gefühlt näher gekommen sind und sich in diesem Zusammenhang in der Tiefe mit „Post Traumatic Growth“ auseinandergesetzt hat.
Weiterbildungstipp:
Praxis-Workshop Purpose Driven Organizations
2 x 2 Tage für Unternehmer:innen, Organisationsentwickler:innen, Strateg:innen und Manager:innen, mit dem Ziel, mehr Purpose Drive in das eigene Unternehmen zu bringen.
Blogpost-Tipp:
Virtuelle Zusammenarbeit und wie sie gelingt
Insa Meier und David Max Jeggle widmen sich dem Thema Virtual Collaboration. Was braucht es um verteiltes Arbeiten und virtuelle Meetings erfolgreich zu gestalten. Tipps dazu im Blogbeitrag!