„Ich kann so sein, wie ich bin“ als gute Basis für systemisches Coaching
In diesem Blogbeitrag erzähle ich, was den gesunden Boden einer systemischen Coaching-Session ausmacht. Und wie wir selbst als alte Coaching Hasen immer wieder darüber staunen.
Der Beginn einer Lernreise
Mit einer heterogenen Gruppe aus Führungskräften, Unternehmensberater:innen und Organisationsentwickler:innen starten wir in den neuen Coaching-Lehrgang. Die Teilnehmenden sind aufgeregt und ich als Lehrtrainerin bin es genauso. Da spielt keine Rolle, dass es schon der zehnte Lehrgang ist, den ich leite. Jedem Anfang wohnt wieder der Zauber inne: Wer kommt da zusammen? Welche Gruppe konstituiert sich? Welche Kultur des gemeinsamen Lernens wird hier ausgebildet?
Meist werden in der Vorstellungsrunde normative Eckpfeiler gesetzt, die den ganzen Lernprozess leiten. Und heute ist es besonders. Die Einzelnen teilen viel von sich. Neben den beruflichen Rollen werden viele private Rollen erwähnt und was das Leben gerade abverlangt. Biografische Herausforderungen, die mitunter ins Wanken bringen. Persönliche Beiträge, die die Welt ein Stück besser gemacht haben. Berufliche Entscheidungen, für die der Mut fehlt. Beziehungen, die das Leben wertvoll machen.
Unter uns beginnt ein gemeinsamer Boden zu wachsen
In den drei Tagen des ersten Moduls wird dieser Boden zu einem sicheren Grund für Vertrauen und Sich-Einlassen. Noch ohne viel zu wissen, wagen sich die Teilnehmenden in die erste Coaching Übung – „einfach mal ausprobieren“. Die Beobachtenden geben anschließend Feedback über alles, was schon gelungen ist. Die Lust am Coachen und am Lernen des Handwerks wächst.
Wir führen ein wichtiges Tool im systemischen Coaching ein: die wertschätzenden Beobachtungen. Die Gruppe wundert sich – „Wirklich? Man meldet dem Kunden Stärken zurück, die man beobachtet? Ist das nicht manipulativ?“
„Kommt ganz darauf an, ob es ehrlich ist.“
Wir sehen ständig Verhalten oder Haltungen an anderen, die wir gut finden, die wir bewundern, die uns selbst helfen oder für die wir dankbar sind. Meist nehmen wir uns nicht die Zeit, diese Gedanken laut auszusprechen.
Aber was geschieht, wenn man es macht?
Menschen werden sich ihrer Stärken bewusst. Sie entdecken Wertvolles an sich, was sie selbst ausgeblendet oder übersehen haben. Es tritt Entspannung ein, eine Form der Selbstakzeptanz und ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Und all das ist Voraussetzung für Entwicklung.
Innerlich leer werden
Wir sprechen über die Haltung der Neutralität, die wir im ganzen Lehrgang üben werden. Wie kann ich einer Kundin gegenübersitzen und mich ganz offen und innerlich leer auf ihre Welt einlassen? Wie gelingt es, eigene Bewertungen oder Zuschreibungen immer wieder zurückzunehmen?
Ich sehe Stirnrunzeln bei Manchen, als wir über Konstruktivismus sprechen und dass Wirklichkeit nur die Konstruktion eines Beobachters ist. Dass die Kunst des systemischen Coachings darin besteht, Wirklichkeitskonstruktionen bewusst zu machen, denn wenn ich weiß, wie ich ein Problem konstruiere, dann kann ich auch hilfreichere Versionen davon konstruieren. Und dass es dann schon gar nicht funktionieren würde, wenn ich meine Wirklichkeit einem Kunden überstülpen will.
Nach der zweiten Coaching Übung fasst eine Gruppe ihre Erkenntnis über den systemischen Coachingansatz freudestrahlend so zusammen:
„Ich kann so sein, wie ich bin!
Der Luxus, dass mir ein Coach gegenübersitzt, der einfach offen und neugierig zuhört, der mir hilft, Klarheit in mein Thema zu bringen. Der keine eigenen Meinungen, Ideen oder Ratschläge dazustellt, sondern ehrlich interessiert mit mir in meiner Welt spazieren geht. Und dabei wertschätzend all jenes unterstreicht, was mir gar nicht aufgefallen wäre – wo hat man das sonst im Alltag?
„Ich kann so sein, wie ich bin!“ – als ein Geheimrezept systemischen Coachings.
Denn, wenn ich so sein kann, wie ich bin, dann erst bin ich in der Lage für Veränderung. Diesen gelben Zettel werde ich mir aufbewahren. So hätte ich es selbst nicht auf den Punkt gebracht, was Coaching ausmacht. Aber wer ein gutes systemisches Coaching selbst schon erlebt hat, der hat den befreienden Raum gespürt, der sich dadurch eröffnet.
Und doch staune ich in jedem Coaching und auch in jedem Coaching-Lehrgang wieder darüber, wie heilsam es wirkt, wenn jemand mit anderen „einfach so sein kann, wie er ist“.
Über die Autorin
Franziska Fink ist systemische Beraterin & Coach, Purpose-Expertin, Buch-Autorin und Co-Programmleiterin des Neuwaldegger Coaching Campus. Sie hat ein neues Konzept für unsere Coaching-Aus- und Weiterbildung entwickelt, bei dem man nicht nur coachen lernt und ab dem ersten Modul selbst coacht, sondern auch von erfahrenen Coaches gecoacht wird.
Neuwaldegger Coaching Campus, ab 15. Mai 2024
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